Tag 2

Dein Wecker reist dich aus deinen Träumen. Du kannst dich nur dunkel an sie erinnern aber deine rothaarige Auftraggeberin kam darin vor und auch das Team. Alles in allem war es aber kein unangenehmer Traum. Nur auf die eingespielte Werbeunterbrechung für Stimmungsaufheller hättest du verzichten können.

Du spähst aus der kleinen sauberen Stelle am Fenster. Heute mal kein Nebel, dafür saurer Regen und viel davon. Draußen erstickt man also nicht, sondern verätzt sich Haut und Kleidung.

Du setzt deine Kontaktlinsen ein und die AR macht deine Welt sofort schöner, heller und freundlicher. Über deinem Bett an der Decke erscheint der Spruch “Ein produktiver Mensch ist ein glücklicher Mensch”.

Langsam setzt du dich auf und streckst dich. Ein gutes Frühstück wäre jetzt was feines und ein echter Kaffee.

Ja, echter Kaffee und dazu echtes Essen, dass war genau das richtige jetzt. Du machst dich also fertig und verlässt deine Wohnung, runter in die U-Bahn und fährst richtung Innenstadt. Natürlich trägst du dabei deine neue Panzerkleidung samt dem Mantel und hast auch deine Pistole dabei.

Auf halber Strecke klingelt dein Komlink und du siehst wieder die Fratze deines Vermieters. Das Geld für die Miete hast du zwar, aber reden willst du mit ihm nicht. Du drückst ihn weg und überweist ihm sein Geld. Damit solltest du erst einmal deine Ruhe haben.

Kurz darauf erreichst du die Innenstadt und steigst aus. Auch hier wirst du mit AR Werbung bombardiert aber sie zeigt die neusten Cyberimplantate, Schönheitschirurgen, teuren Alkohol und Schmuck. Du fährst, umgeben von Schlipsträgern, die Rolltreppe hoch. Oben betrittst du direkt die Nobelmall mit ihren Markengeschäften und Kaffees. Dein Ziel liegt unweit der Rolltreppe. Du setzt dich in das Kaffee Orient und durchstöberst die Karte.

Orientalischer Kaffee, mit Datteln, Fladenbrot und Honig für 100 Credits, Schwarzer Kaffee mit Crossants, Marmelade und Honig 90, Kanne Kaffee mit 2 Brötchen, Käse und Wurst für 130 oder Orientalischer Kaffee mit süßem Gebäck für 120.

Du bestellst dir das 1. Menü. Gelegentlich muss man sich ja etwas gönnen. Nach etwa 10 Minuten hast du dann deinen Kaffee, eine Schüssel mit getrockneten Datteln sowie das noch warme Fladenbrot und einen kleinen Topf mit Honig. Das Frühstück schmeckt himmlisch. Es ist ewig her, dass du so gut gegessen hast, da konnte selbst Wu nicht mithalten. Du leerst deinen Kaffee und er wird dir ungefragt nachgefüllt, das war hier im Preis mit inbegriffen.

Du lehnst dich entspannt zurück und lässt den gestrigen Tag Revue passieren. Du wusstest immer noch viel zu wenig über das Auftragsziel, dein Team und die Auftraggeber, was dir etwas Sorgen machte.

Du könntest hier noch etwas sitzen und nachforschen. Das drahtlose Internet war hier in der Gegend bedeutend besser wie bei dir zu Hause oder du fährst direkt zurück, wo du unbeobachtet wärst.

Du entscheidest dich, sitzen zu bleiben, gehst in der AR online und beginnst nach dem Parkhaus zu suchen. Schnell wirst du fündig und die Informationen sind vielversprechend. Die Reaktionszeit des Sicherheitsdienstes liegt bei über 10 Minuten, ungewöhnlich hoch für die Gegend, für euch natürlich ein Vorteil. Die digitale Sicherheit soll auch nur mittelmäßig sein, du kannst die Kameras also gut hacken. Diese Infos zaubern dir ein lächeln ins Gesicht.

Nun zum Auto selbst. Die Suche dauert länger aber auch hier wirst du, nach dem 4. Kaffee, fündig.

Du verschluckst dich, als du den letzten Schluck trinken willst. Das Auto ist auf die irische Botschaft zugelassen, auch wenn es kein diplomatisches Kennzeichen hat. Diese Tatsache erklärt zumindest die hohe Bezahlung.

Du lehnst dich nachdenklich zurück. Aussteigen würde wohl mehr Probleme bringen, Auftraggeber nahmen so was persönlich.

Einen weiteren Kaffee später machst du dich auf die Suche nach den Auftraggebern.

Erstaunlich schnell findest du Informationen über die “Kurze” und staunst nicht schlecht. Wu hatte recht, ihre Reputation war tatsächlich sehr gut und sie war seit Jahren aktiv. Unter dem Namen Jormungand hat sie diverse Jobs erledigt, alle mit minimalen Kollateralschäden und Opfern.

Du findest aber auch andere Namen für sie. Darunter Snow White und Krümel. Sie wird auch als die Königin eines der miesesten Viertel von Hamburg, Deutschland bezeichnet und scheint den Menschen da zu helfen. Eine Verbrecherin mit sozialer Ader, auch mal etwas neues. Außerdem scheint sie eine schwäche für große Waffen und Frauen zu haben.

Inzwischen ist sie aber eher eine sehr gute Anlaufstelle, wenn man Arbeit oder illegale Wahren braucht.

Du rechnest kurz ihr Alter nach. Sie war höchstens 18, als sie angefangen hat. Die anderen beiden Frauen von gestern Abend findest du auch über sie, da die drei scheinbar oft zusammen zu finden sind. Es gibt diverse Spekulationen darüber, das es da Beziehungen gibt. Du findest alle möglichen Kombinationen bis hin zu einer Dreierbeziehung.

Die mit den violetten Haare wird tatsächlich Violett genannt und hat auch schon einige illegale Aufträge erledigt. Dabei hat sie immer mit dem selben Team gearbeitet.

Die 3. im Bunde arbeitet wohl bei einer Dicothekenkette an der Bar.

Ihre richtigen Namen findest du nicht und auch keine Bilder, nicht einmal von der, die in den Diskotheken arbeitet. Was du findest sind Warnungen, dass man die Kurze besser nich betrügen sollte. Ihre Hilfsbereitschaft wurde schon oft als Schwäche ausgelegt aber keiner, der sie betrogen hat, hat es überlebt.

Du gräbst tiefer nach Jormungand.

Jormungand scheint inspiriert von der nordischen Mythologie zu sein, wird ihr ehemaliges Team, mit dem sie gearbeitet hat, doch als Team Yggdrasil genannt.

Sie hilft einem ganzen Viertel, also nahezu jeder der Bewohner da aber ein Name sticht raus, ein Mann namens Lukas der nun als Hauslehrer in einem Waisenhaus in Hamburg arbeitet. Da scheint es auch eine persönliche Verbindung zu geben aber was genau, findest du so nicht heraus.

Nun zum Team.

Ladys First.

Zu Alice findest du einiges. Scheinbar neigten Aufträge, bei denen sie dabei war, dazu, in den Medien zu landen. Nagelbandwerfer auf der Stadtautobahn um einen LKW zu klauen, Großbrand in Bangkok und auf Hokkaido, Explosion einer CO2-Kühlanlage in der Innenstadt von Seattle... viel Aufmerksamkeit aber sie wurde nie erwischt.

Über Mr. Smith findest du dagegen fast nichts. Man kennt ihn zwar als britischen Gentleman und er gilt als absolut zuverlässig aber das war es auch schon. Kein erledigten Jobs, keine Namen von Leuten, mit denen er gearbeitet hat.

Zuletzt suchst du nach Balu. Du findest keine Jobs, bei denen er dabei war, weil dieser sein erster ist. Er stammt aus dem selben Viertel von Hamburg, wie eure Auftraggeberin und die Beiden scheinen auch sonst sehr viele Verbindungen zu haben. Einige Quellen gehen soweit und behaupten, die beiden seien zusammen aufgewachsen, gar Geschwister, andere behaupten, die Beiden führen eine Beziehung und eine Quelle behauptet gar beides.

Die Bedienung bringt dir einen weiteren Kaffee.

“Bitte entschuldigen Sie aber dies ist der letzte Kaffee, wir stellen jetzt auf die Mittagskarte um. Bitte verzeihen Sie die Unannehmlichkeit.”

Du schaust dir die Mittagskarte an.

Lammeintopf für 350 Credits,

Pide mit Aubergine 200,

Kofta für 400.

Zu allen Gerichten wird ein Salat gereicht und Halva als Nachtisch. Getränke gehen extra. Die Preise sind dir eigentlich viel zu hoch. Für die Summen kommst du normalerweise über Wochen, selbst wenn du bei Wu isst.

Du stehst auf und beginnst etwas durch das Einkaufszentrum zu schlendern. Eine Werbung schiebt sich aufdringlich in deine AR.

“Dynamische Brustimplantate lassen sich um bis zu 4 Größen variieren und ihrer Kleidung stets optimal anpassen. Neben den eigentlichen Implantaten erhalten sie auch eine erhalten sie auch ein Elastizitätsupdate für die Haus. Fragen sie noch heute ihren plastischen Chirurgen!”

Gefolgt von einem sehr langen und sehr kleinen Textabschnitt mit Haftungsausschlüssen. Du schüttelst leicht den Kopf und läufst dabei beinahe in eine junge Frau, die dir entgegen kommt. Du kannst grade so ausweichen und schaust der Frau hinterher, die sich halb umdreht und dich anlächelt. Du drehst dich um und folgst der jungen Frau, die scheinbar ziellos durch die Mall geht. Nach kurzer Zeit gehst du um eine Ecke und die Frau ist weg, obwohl sie nur Sekunden vor dir, um die Ecke ist. Verwirrt schaust du dich um, siehst sie aber nirgends. Du beschließt, erst einmal einkaufen zu gehen und machst dich auf den Weg zum Lebensmittelladen.

Es ist, natürlich, einer der teuren Sorte mit Echtlebensmitteln. Als erstes deckst du dich mit Süßigkeiten ein und schaust dich noch etwas weiter um. Immer wieder hast du das Gefühl, die Frau wieder zu sehen, wie sie hinter einem Regal verschwindet oder hinter einer Gruppe von Leuten. Immer grade am Rand deiner Wahrnehmung, so dass du sie nie wirklich zu Gesicht bekommst.

Du gehst zur Kasse und bezahlst deine 55 Credits für die Süßigkeiten, danach verlässt du den Laden und gehst los Richtung U-Bahn.

Immer wieder glaubst du, die junge Frau zu sehen aber wenn du in ihre Richtung blickst, ist sie weg. Wirst du jetzt verrückt, paranoid oder wirklich verfolgt?

Du lehnst dich an eine Ecke und beobachtest die Umgebung und erblickst die junge Frau tatsächlich. Sie schenkt dir wieder ein zuckersüßes Lächeln, geht weiter und verschwindet hinter einer Gruppe Anzugträger, du hast sie wieder aus den Augen verloren. Dir ist aber aufgefallen, dass sie andere Kleidung getragen hat, wie bei eurer ersten Begegnung.

Dir kommt die Idee, nachzuschauen, ob jemand mit deinem Comlink und deiner AR herumgespielt hat und stellst fest, dass da etwas nicht stimmt, kannst auf die schnelle aber nicht herausfinden, was es ist, dafür brauchst du mehr Ruhe und Zeit.

Du schaltest deine AR aus, um sicherzugehen, dass du da nicht verwirrt wirst. Die Welt um dich herum wird plötzlich eintöniger, langweiliger und irgendwie still. Dein Gehirn ist nun völlig unterfordert und dürstet nach Reizen. Du brauchst einige Minuten, um dich an die Leere zu gewöhnen. Keine Werbung, keine Laden- oder Hinweisschilder, alles weg, nur noch kahler Steinboden und Weiße Wände. Du schlenderst weiter und schaust dich dabei aufmerksam aufmerksam um.

Die Leute um dich herum wirken nun noch mehr wie Zombies, mit ihren leeren, in die Ferne gerichteten Blicken und wie sie scheinbar mit sich selber sprechen. Dann siehst du sie wieder, die junge Frau, wie sie dich, von einer Ecke aus, direkt anschaut und dir leicht zuwinkt, ehe sie um die Ecke verschwindet.

Du gehst ihr schnell hinterher, kannst sie aber nirgends sehen. Suchend schaust du dich um, und siehst sie wieder, in der Richtung, aus der du gekommen bist. Das war eigentlich unmöglich. Du starrst sie einen Moment regungslos an, ehe sie wieder um die nächste Ecke verschwindet. Langsam warst du das Spiel leid. Außerdem bekommst du langsam wieder Hunger. Deshalb machst du dich auf den Weg zur U-Bahn um nach Hause zu fahren. Für den Moment beschließt du, die Frau zu ignorieren, bis du dein Comlink gesäubert hast, aber erst einmal zu Wu und etwas essen.

Ohne die Überblendung der AR ist die Welt noch deprimierender. Der Zug ist mehr oder weniger sauber aber kahl und schmucklos. Anders sieht es an deinem Ziel aus. Hier ist alles voller Dreck und Graffiti. An den Wänden sieht man noch die Reste der analogen Werbung aus der guten alten Zeit. Zumindest gab es keine personalisierten Werbespam und du merkst, dass du die visuelle Ruhe tatsächlich genießt.

Du setzt dich an Wu's kurzen Tresen.

Wu: “Wie immer?”

Du nickst nur stumm und schaust dich noch einmal um, kannst die Frau aber nicht sehen. Wu stellt dir eine Schüssel Ramen hin.

Wu: “Ich setz es erstmal wieder auf deinen Deckel.”

Du erzählst Wu von der Frau aus dem Einkaufszentrum und er hört dir aufmerksam zu, schüttelt am Ende aber den Kopf.

Wu: “Sowas höre ich das erste mal. Keine Ahnung wer das sein soll aber ich höre mich einmal um.”

“Danke dir.”

Du bekommst eine Nachricht von Mr. Smith. Die Pläne vom Parkhaus sind da und er möchte sich um 20 Uhr wieder im Drunken Monkey treffen. Jetzt ist es 14 Uhr also noch viel Zeit. Du verabschiedest dich von Wu und gehst hoch in deine Wohnung. Du setzt dich auf dein Sofa und beginnst die Software deines Comlinks zu untersuchen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit findest du ein Programm, dass da nicht hingehört. Du isolierst es und beginnst es zu untersuchen. Es greift tatsächlich auf deine AR zu und das auch, wenn diese abgeschaltet ist. Es ist eines der kompliziertesten Programme, mit denen du es je zu tun hattest. Immer tiefer tauchst du in die Struktur ein, getrieben von Neugier und Faszination.

In den Tiefen des Programms entdeckst du dann die Signatur des Programmierers, eine geflügelte Spinne. Endlich ein wenig Information über den Urheber.

Du schaust auf die Uhr und bist ziemlich überrumpelt. Es ist schon 17:30 Uhr. Das alles hat wesentlich länger gedauert wie du erwartet hast.

Du sicherst das Programm so, dass es keinen Schaden mehr anrichten kann. Du stellst dir einen Wecker auf 19 Uhr und beginnst nach der geflügelten Spinne zu suchen.

Immer mal wieder stolperst du über Gerüchte und Geschichten zu diesem Hacker. Er soll Banken, Behörden und Konzerne gehackt haben und Millionen Credits gestohlen und gewaschen haben. Kein Bild, kein Name und nicht einmal eine Vermutung zu seiner Identität.

Er scheint verdammt gut zu sein, selbst wenn nur die Hälfte stimmt, was du findest.

In einem der einschlägigen Foren findest du einen Eintrag von der geflügelten Spinne, der ist aber nicht sonderlich hilfreich. Da geht es nur um eine Programm, um ein Comlink Abhören zu können. Der Quellcode ist beeindruckend aber sehr schwer zu verstehen, ganz ohne Kommentare und mit verwirrenden Algorithmen und Variablen, die immer wieder neu verwendet wurden. Du musst zugeben, du verstehst den Code nicht.

Dann klingelt der Wecker.

Du wechselst dein Comlink, nur zur Sicherheit, und machst dich auf den weg zum Drunken Monkey. Deine AR macht dir keine Probleme und du siehst die Frau nicht wieder, was dich sehr beruhigt.

Diesmal kommst du ohne Vorkommnisse dort an, nur um festzustellen, dass es dort voll wie immer ist. Du hast noch 15 Minuten Zeit, bis zum Treffen, könntest aber schon ins Hinterzimmer gehen, was du auch tust. Balu ist schon da und schaut kurz auf, als du rein kommst, nickt dir zu und blickt wieder schüchtern runter. Du setzt dich mit an den Tisch, um auch auf die anderen zu warten. Dabei schaust du dich einmal genauer im Raum um.

Der Raum ist uninteressant, nahezu langweilig.

Balu nestelt schüchtern an seinen Nagelbetten herum und schaut, die ganze zeit, auf die Tischplatte. Unter seiner Jacke siehst du eine Pistole, die zu teuer für seine Herkunft ist, außerdem nagelneu aussieht. Du erkennst auch eine abgesägte Schrotflinte, die hingegen sieht sehr alt aus.

Du: “He Balu, ich hab mich gestern noch mit ner neuen Waffe eingedeckt. Was hälst du von der?”

Du zeigst Balu deine Automatikpistole, welcher er nimmt und kurz begutachtet.

Balu: “Solide Waffe, Schweizer Wertarbeit und werksneu. Damit solltest du keine Probleme haben. Ein größeres Magazin solltest du dir noch besorgen und vielleicht einen Schalldämpfer.”

Er reicht dir die Pistole zurück. Solche Mods hat dein Händler nicht.