whatsgoingdom

Eine Geschichte über einen Bildhauer, der auf der Suche nach Inspiration in einer Stadt mit einem seltsamen Fluch landet.

„Komm!“ Sprach sie und deutete mir an ihr durch das Stadttor zu folgen. Wir schritten durch die schwarzen Stadtmauern, die in der Hitze zu flimmern schienen. Das erste, was mir ins Auge fiel, waren die unzähligen Statuen die scheinbar willkürlich überall in meinem Blickfeld standen. Meine Begleitung war stehen geblieben und ich bemerkte, wie sie meine Reaktion beobachtete.

An der Statue, die mir am nächsten stand, konnte ich die meisterhafte Arbeit des Bildhauers erkennen. Wie detailliert, wie lebensecht. Ich trat näher und hielt mit der Hand inne kurz bevor ich die Statue berührte. Das Gefühl der Mann würde jederzeit zurück ins Leben springen machte sich in mir breit.

Sein Gesicht war traurig, kraftlos, sein Blick leer. „Wahrhaft meisterliche Kunstwerke!“ rief ich aus. Sofort hatte ich Lust selbst Hammer und Meißel auszupacken. Die Beklemmung und die Steifheit, die mir von der anstrengenden Reise in den Knochen steckte, fielen von mir ab.

Alle Statuen wiesen die gleiche Hingabe zu lebensechten Details auf. ‚Waren all diese Kunstwerke von der gleichen Person geschaffen?‘

Ich wandte mich an meine Begleiterin „Wer hat all das erschaffen? Warum habe ich von so einem Meister noch nie gehört?“

Ihr Blick verriet, wie unangenehm meine Frage wohl war.

Nach einer Pause begann sie leise: „Das sind keine Statuen, das sind alles Menschen, die hier irgendwann ihren Antrieb verloren haben…“

„Menschen?!“ Meine Begeisterung war schnell aus meiner Stimme verschwunden. „Du meinst, all diese Leute sind noch am Leben?“ Während ich sprach, wanderte mein Blick ziellos über die verteilten Skulpturen. Nein. Über die Einwohner dieser Stadt. Ich erkannte viele alte Menschen, manche mit fast friedlichem Ausdruck. Je jünger die Menschen waren desto verzweifelter wirkten sie. An einer Hauswand saß ein Kind in verschlissener Kleidung. Vor ihm eine Schale. Wie aussichtslos musste seine Lage gewesen sein, dass es so jung keinen Antrieb mehr gefunden hatte?

„Ob sie noch leben, weiß niemand hier“ holte mich die Stimme von Kazlane aus meinen Gedanken zurück. “Was genau ist hier passiert?” fragte ich, während ich mich weiter, zunehmend fassungslos umschaute. “Auch das weiß niemand so genau. Komm, wir gehen weiter.” Es war ihr sichtlich unangenehm sich hier aufzuhalten. ‘Warum hat sie mich dann eigentlich hier her gebracht?’ Ohne die Frage laut zu stellen nickte ich und folgte ihr weiter die Straße hinunter. Dabei bemerkte ich, dass wir scheinbar die einzigen lebenden Menschen hier in der Stadt waren. Auch am Stadttor hatten uns keine Wachen aufgehalten. Wir waren einfach durch das riesige, halb geöffnete Tor in der Mauer aus geglätteten Vulkansteinblöcken gelaufen. Aber auch diese Frage stellte ich nicht laut und sah mich auf unserem Weg weiter aufmerksam um.

Nachdem ich Kazlane eine Weile schweigend gefolgt war, konnte ich die vielen Fragen, die sich in meinem Kopf überschlugen nicht mehr zurückhalten.

“Warum sind wir die Einzigen hier?” brach ich die unnatürliche Stille. Die Sonne stand nach wie vor hoch am Himmel und durch die Hitze flimmerte die Luft, was den Anblick der verlassenen Stadt und die Statuen überall noch bizarrer machte.

“Dieser Teil ist die alte Stadt, sie ist seit Jahrzehnten verlassen” gab Kazlene im gleichen, fast flüsternden Tonfall zurück, mit dem ich die Frage gestellt hatte. In normaler Lautstärke zu reden hätte mich zu viel Mut gekostet. Nach kurzem Zögern fuhr sie fort: “Die Bewohner hier haben diesen Teil verlassen, als immer mehr Menschen zu Statuen wurden.” Sie deutete auf eines der Häuser zu unserer Rechten. “Wenn du möchtest kannst du dich umsehen.”

Erstaunt blieb ich stehen. “In… die Häuser? Einfach so rein gehen?” Kazlane nickte zu einer der Statuen, die vor dem Haus auf einer Bank saß. Ein sehr alter Mann, dessen gesamte Haarpracht sich auf seinem Gesicht konzentrierte. “Er wird es vermutlich nicht mitbekommen.” Der Zynismus und die Sicherheit in ihrer Aussage wirkten gespielt. Ihre Stimme klang merkwürdig belegt. Ich sah den alten Mann eindringlich an und meine Neugier überwand schließlich meine Angst. Ich ging ein paar Schritte näher und betrachtete die leblose Gestalt genauer. Er musste wirklich sehr alt gewesen sein. Seine Schultern hingen nach hinten, sein Rücken war gekrümmt und der Kopf hing leicht nach unten. Er hatte sich mit den Händen auf den Oberschenkeln abgestützt. Fast sah es so aus, als ob er im Begriff gewesen war aufzustehen. Es fiel mir wirklich nicht schwer zu glauben, dass es sich um echte Menschen handelte – nie zuvor war mir eine so detaillierte Statue begegnet. Auf der Suche nach meiner verlorenen Inspiration hatte ich so gut wie jedes Meisterwerk vergangener und aktueller Bildhauer auf meinem Kontinent besucht, bevor ich hierher aufgebrochen war.

Unsicher wandte ich mich von der uralten Gestalt ab und drehte mich zur Tür des Wohnhauses. Die Hauswand und die Tür wirkten gut gepflegt. Ich hatte ausgebleichtes, staubtrockenes Holz und verrostete Beschläge erwartet.

“Es sieht so aus als wäre hier vor kurzem jemand gewesen” raunte ich über meine Schulter. Kazlane war inzwischen näher gekommen. Die Tür sah fast frisch gestrichen und die Scharniere gut geölt aus. “Das ist die Arbeit der Geschichtspfleger.” Ihre Erklärung warf mehr Fragen auf, als dass sie Antworten gab. “Eine Gruppe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Altstadt so zu erhalten, wie sie ist.” ergänzte sie als sie mein fragendes Gesicht sah. “Falls die Statuen wirklich noch leben.”

Ich wandte mich wieder der Tür zu. Inzwischen mehr ehrfürchtig als ängstlich, streckte ich langsam meine Hand aus, zog am Türriegel und drückte die Tür langsam nach innen auf.

Im Inneren des Hauses empfing uns ein dämmriges Licht. Wie für diese Wüstengegend üblich, waren die Fenster in den Häusern klein gehalten um nicht unnötig viel Wärme hereinzulassen. Die Möbel die in dem einfachen Raum, einer Kombination aus Küche, Schlaf- und Wohnraum standen waren intakt aber staubig. Ich konnte mir nur schwer vorstellen wie viele Geschichtspfleger, wie Kazlane sie genannt hatte, nötig wären, um alle Häuser die wir bisher passiert hatten, nicht nur in Schuss sondern auch noch sauber zu halten. Das wertvollste in dieser einfachen Behausung schien ein kleines Porträt einer Frau. Es stand prominent auf einem extra Tisch an der Wand gegenüber des Eingangs, und der silberschimmernde Rahmen wirkte auch deutlich staubfreier als der Rest. Vermutlich ebenfalls die Arbeit der Geschichtspfleger. Ich betrachte die Frau. Es war ein Porträt einer einfachen Frau mittleren Alters. “Die Frau des alten Mannes vor der Tür” mutmaßte ich, mehr zu mir selbst als zu Kazlane. Ich nahm eine Papierrolle und Feder zur Hand und begann die Gesichtszüge des Porträts zu skizzieren. Kazlane beobachtete neugierig wie Strich für Strich ein Gesicht auf meinem Papier entstand. Wir waren schon länger zusammen unterwegs und sie hatte mich schon unzählige Male zeichnen sehen, aber ihre Faszination dafür schien das nicht im geringsten zu dämpfen.

Ich rollte das Papier zusammen, und steckte es samt Feder wieder sorgfältig in meinen Beutel. “Lass uns weitergehen.”

Draußen blieben wir kurz blinzelnd stehen, bis sich unsere Augen wieder an das grelle Licht gewöhnt hatten.

Weiter durch die verlassene Stadt, begann der Weg anzusteigen, und wir näherten uns dem Fuß des Berges, an den sich die Stadt schmiegte.

“Die Einwohner haben irgendwann begonnen die Stadt nach Norden, Richtung Berge zu erweitern um nicht ständig mit den Statuen konfrontiert zu sein” erklärte Kazlane mir leise, während wir langsam bergauf stiegen, “und vermutlich in der Hoffnung dem Fluch zu entkommen.”

Der Weg war nun nicht mehr gerade, sondern wand sich zwischen vereinzelten Felsbrocken und dazwischen gemauerten Häusern nach oben.

Wir liefen einer engen Kurve folgend voran und vor mir tat sich ein Bild der Zerstörung auf. Statt der gepflegten Häuser und unversehrten Skulpturen die uns auf unserem Weg bis hier stumm begleitet hatten, waren vor uns nur noch die ausgebrannten Skelett verfallener Häuser übrig. Auch die Statuen waren nicht länger unversehrt. Einige waren nur vom Ruß geschwärzt, andere regelrecht zerschlagen. Das war kein natürlicher Verfall. Jemand hatte hier mit viel destruktiver Energie gewütet und geplündert.

„Was ist denn hier los?“ in meiner Stimme lag blankes Entsetzen. Ich wich einem abgebrochenen, versteinerten Arm aus, der mitten auf dem Weg lag. Der zugehörige Körper einer jungen Dame war halb im groben Sand vergraben, den der Wind im Laufe der Jahre gegen ein intaktes Stück Wand geblasen hatte. Der Kopf fehlte komplett. Schaudernd lief es mir den Rücken hinab. ‚Das sind Menschen!‘ schrie ich innerlich.

„Die Bürger waren verzweifelt.“ Kazlane schluckte “andere haben… experimentiert.” Diese kurze und knappe Erklärung war auch die einzige Information, die ich ihr abringen konnte. Sie ging auf keine meiner Fragen weiter ein, zuckte meist nur mit den Schultern und drängte mich dazu weiter zu laufen.

Eine Hängebrücke die einen knapp hundert Meter breiten Abgrund vor uns überquerbar machte, trennte die alten Stadtteile von einem Tal. Kurz hinter der Hängebrücke konnte ich ein weiteres Stadttor ausmachen. Eine massive Mauer von gleicher Bauart wie die, die wir vor etwa zwei Stunden durchquert hatten zog sich links und rechts des Stadttors bis zu den steilen Felswänden die hier in den strahlenden Himmel reichten. Aus der Entfernung konnte ich auch endlich die typischen Geräusche einer Stadt ausmachen.

Ähnlich wie die Häuser im ersten Stadtteil wirkte auch die Hängebrücke auf mich stabil und gepflegt. Etwas mulmig war mir trotzdem und ich beging den Fehler durch die Spalten in den Brettern nach unten zu sehen. Der Boden des riesigen Spalts war von dunklen Nebelschwaden verhangen, sodass es unmöglich war, einzuschätzen wie tief der Spalt tatsächlich war. Schnell blickte ich wieder nach vorne und lief weiter.

„Lass mich das regeln“, raunte Kazlane mir zu, als wir schließlich vor dem Stadttor standen und eine der Wachen aus dem Schatten seines Postens auf uns zu schritt. Sie unterhielten sich kurz in der vokallastigen Sprache dieses Kontinents. Dabei deuteten beide Seiten mehrmals in meine Richtung. Obwohl ich inzwischen die typische Kleidung mit ausladender Kapuze gegen die direkte Sonne, und Mundtuch gegen den allgegenwärtigen Sand trug, passten weder meine gedrungene Gestalt noch meine rote Haarpracht und meine viel zu blasse Haut zum üblichen Aussehen der meisten Bewohner hier. Kazlane kehrte zufrieden nickend zu mir zurück. „Es scheint, wir haben Glück. Er sagt du darfst rein“, teilte sie mir mit und der Weg wurde für uns freigegeben.

Seit wir die Altstadt hinter uns gelassen hatten wirkte Kazlane wieder wesentlich entspannter und legte ihre wortkarge Art langsam wieder ab. Vermutlich auch weil sie seit längerer Zeit in ihrer Heimat angekommen war. “Diese Straße hier führt zu einem Marktplatz weiter innen. – eigentlich führt jede Straße hier zu irgendeinem Marktplatz” erklärte sie mir bald fröhlich, wie zu Beginn unserer gemeinsamen Reise, die Eigenheiten ihrer Heimatstadt.

Ich schaute mich aufmerksam um. Die Behausungen waren ähnlich gebaut wie am Anfang der Stadt, nur dichter beisammen und teils übereinander gestapelt. Außerdem waren hier keine Statuen zu sehen.

„Sind die Menschen dem Fluch entkommen?“ „Nein, es ist nur unpraktisch, sie überall herumstehen zu lassen.“ Sie deutete auf die Steilwände und ich erkannte unzählige Öffnungen im Fels. Dort sauber und geschützt aufgereiht erkannte ich verschiedenste Statuen, manche durch Holzkonstruktionen gestützt und gesichert. „Wir sind da“ unterbrach Kazlane meine Beobachtungen und zeigte auf eine Tür die in eins der Häuser führte. Ich folgte ihr hinein.

Sie hatte bereits ihren weiten Mantel, ein grober sandfarbener Stoff, leicht genug um eine durchzulassen, fein genug um in mehreren Lagen den Sand abzuhalten, abgelegt, als sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. “Du kannst deinen Mantel auch hier an die Haken hängen”

Ich folgte ihrer Einladung und setzte mich an den Tisch auf die Eckbank. “Ich hole kurz etwas Wasser”

Sie kehrte mit einem Krug und zwei Tonbechern zurück.

Ich nahm einen Schluck erstaunlich kaltes Wasser zu mir. “Wir haben einen eigenen Brunnen hinten im Haus. – Der Vorteil davon wenn über Generationen hinweg die Stadt immer und immer wieder neu gebaut wird. Die Leute lernen unglaublich viel über das Bauen und den Wert von kleinen Annehmlichkeiten.” sie deutete auf die enge Treppe, die in das obere Stockwerk führte. “Selbst mittags ist es oben angenehm kühl. Oben ist außerdem eine kleine Gästekammer, dort kannst du dein Gepäck abladen.”

“Hast du was dagegen, wenn ich mich etwas hinlege?” Jetzt wo ich mich ausruhen konnte, bemerkte ich umso mehr die Strapazen der Reise. Antworten auf die hundert Fragen würde ich jetzt sowieso nicht von ihr bekommen – aufgeben würde ich aber auch nicht.

Weiterlesen...

“Guten Morgen” begrüßte Kazlane mich, als ich nach einer äußerst erholsamen Nacht wieder nach unten kam.

“ Hier, nimm dir gerne was zu essen.” Ich setze mich und begann zu essen.

“Was hast du nun vor?” Theoretisch wäre unsere gemeinsame Reise nun vorbei. “Du hast mir nicht zu viel versprochen, als du bei unserem Aufbruch in Foeltahl von Erstaunlichem in deiner Heimatstadt erzählt hast. Ich werde erstmal hier bleiben und mich umsehen. Außerdem habe ich unterwegs so viele Skizzen gemacht, dass ich durchaus gerne arbeiten würde. Ich nehme an, in einer so handwerklich fortgeschrittenen Stadt gibt es sicherlich einige Bildhauer, vielleicht findet sich dort etwas zu tun.” “Du wärst erstaunt, wie rar künstlerische Bildhauer hier sind. – Sie sind wahrscheinlich nicht so erpicht auf Statuen könnte ich mir vorstellen.” “…und nicht zuletzt will ich herausfinden, was es mit dem verlorenen Antrieb, den Geschichtspflegern und diesem Fluch auf sich hat”, schloss ich die Liste meiner Vorhaben. “Über den Orden weiß ich selbst nicht viel.” “Den Orden?” “ Der Orden der Geschichtspfleger. Niemand weiß genau, wo sie herkommen, wer sie sind. Sie waren einfach…da.” Kazlanes Stimme driftete kurz, in ihre eigenen Gedanken versunken, ab.

Ich wartete. “Ich meine, sie haben eine Art Hauptquartier, weit oben in der Steilwand. Nicht wie ein Kloster oder sowas, sondern ich glaube sie wohnen da oben und lagern ihre Werkzeuge und so weiter. Zumindest wird das allgemein unter den Leuten hier angenommen. Aber niemand weiß, wer sie genau sind. Manche vermuten es sind normale Bürger der Stadt, die sich zu einer Art Geheimbund zusammen geschlossen haben. Andere sagen, es sind die ursprünglichen Bewohner dieses Tals. Ich glaube beides stimmt nicht – habe aber selbst auch keine Erklärung…”, sie versank wieder in Gedanken. “Es sind auch die Geschichtspfleger, die die Statuen in die Steilwände bringen. Aber gesehen hat das noch nie jemand. Die Leute sind einfach froh, dass sich irgendjemand drum kümmert.” “Und die Statuen? Wieso werden die Leute hier zu Stein? Kann mir das hier auch passieren?” Erschreckt nahm ich die Bedeutung meiner letzten Frage wahr. Instinktiv ballte ich beide Hände zu Faust und öffnete sie wieder. Gut bisher keine Veränderung spürbar. Ich blicke zu Kazlane und wie gestern in der alten Stadt, und wenn ich Fragen zu den Skulpturen stellte, wurde ihr Gesichtsausdruck härter. Offensichtlich war es ihr unangenehm darüber zu sprechen. “Es gibt in der Stadt einen Platz der Gelehrten. Vielleicht bekommst du da ein paar Antworten.” Immerhin hatte sie sich heute nicht komplett verschlossen. Ich war aber alles andere als beruhigt.

Mein erstes Ziel stand also fest. Mit einer Karte die Kazlane mir überlassen hatte bewaffnet machte ich mich auf den Weg. Während der Überfahrt von Foeltahl nach Varmt Gunung und der weiteren Reise bis Guvastap hatte sie mir manchmal ihre Sprache beigebracht. Es sollte zur Not reichen um nach dem Weg zu fragen.

Meine Sorge war allerdings völlig unbegründet, ein weiterer Vorteil vom häufigen Neubau war eine grandiose Stadtplanung. Kleine Symbole, die sich in Holzpfosten geschnitzt, an Kreuzungen faden, wiesen erstaunlich intuitiv den Weg.

Dem Symbol einer kleinen Feder und meiner Karte folgend, war ich schnell am Platz der Gelehrten angekommen. Ein runder Platz mit acht Zugängen, war zwischen den Wegen komplett von mehreren Reihen Regalen gesäumt in denen sich, durch Sonnensegel geschützt, unzählige Schriftrollen und Bücher sowie vereinzelte Steintafeln stapelten.

Auf dem Platz waren in Gruppen verstreut Sitzkissen und kleine Tische. Manche besetzt von Menschen in hitziger, zweifelsfrei akademischer Debatte, an anderen still und einzeln lesende Gelehrte und Anwärter auf diesen Titel.

Ich ging zu einem in leichter Robe gekleidetem Mann der gerade ein paar Schriftrollen in eines der Regale sortierte. In gebrochenen Sätzen stellte ich mich vor und fragte ob er jemanden kenne der meine Sprache spricht. “Jemand steht vor dir.” Antwortete er sichtlich amüsiert, mit schwerem Akzent aber fehlerfrei in meiner Sprache. “Was kann ich für dich tun?” “Ah, das erleichtert mir das Fragen stellen.” Ich deutete symbolisch nach schräg rechts oben. Die Steilwände waren von hier aus nicht zu sehen. “Ich wollte etwas zu den Statuen wissen. Und ich muss dringend rausfinden, ob mir das ebenfalls passieren kann. Also, dass ich zu Stein werde.” Er betrachtete mich mit weiterhin leicht amüsiertem Ausdruck und nickte dann bedächtig. “Besucher der Stadt sind in der Regel nicht von dem Fluch betroffen. Auch Leute die sich außerhalb der Stadt aufhalten scheinen sicher zu sein.” “Warum gehen dann nicht einfach alle wo anders hin?” Er lächelte weiter und deutete mit einladender Geste um sich. “Du kannst gerne versuchen die Einwohner zu überzeugen. Sicherlich, ein paar wirst du finden. Aber der Großteil ist wohl nicht so leicht bereit, die über Jahrzehnte aufgebauten -sogar mehrmals aufgebauten, wenn man es genau nimmt – Annehmlichkeiten gegen die Gefahren der Wüste zu tauschen. Nur für eine Reise in eine ungewisse Zukunft. Und der Fluch trifft ja bei Weitem auch nicht jeden. Wir können zwar auch nach so langer Zeit nichts genaues sagen, aber es gehen auch einige auf ganz natürliche Weise durch ihr Leben und sterben eines natürlichen Todes. Es scheint, nur wer den Antrieb verliert wird zur Statue. Sag mir Bildhauer, würdest du für eine unbestimmte, in deinen Augen nicht allzu große Gefahr, dein Leben in Bequemlichkeit und Fülle aufgeben und ins Ungewisse ziehen?”

Er betrachtete meine Reaktion und wartete lächelnd meine Antwort ab. Seine Worte eröffneten mir eine neue Sicht auf die Dinge. Nach allem was ich in der alten Stadt gesehen hatte und angesichts der vielen Statuen in den Steilwänden hatte ich unbewusst ‘den Antrieb verlieren' mit ‘Sterben’ gleichgesetzt. Ich hatte wohl einfach angenommen statt zu sterben würden die Leute hier zu Statuen. Vielleicht um auf eine zweite Chance im Leben zu warten oder so etwas. Zunächst aber breitete sich ein gewisses Maß an Beruhigung in mir aus. Die Wahrscheinlichkeit, selbst zu einem meiner Werke zu werden, war wohl sehr gering. “Nein, das würde ich wahrscheinlich auch nicht.” beantwortete ich mit einiger Verzögerung seine Frage. Er nickte mir wieder zu. “Ist auch schon jemand wieder zu einem Mensch geworden? Werden die Menschen langsam zu Stein oder” – ich schnippte mit den Fingern – “so?”

Mit der wohlwollenden Gelassenheit eines Lehrmeisters, oder zumindest eines Lehrmeisters wie ihn sich die meisten Bildhauer in Ausbildung wünschen würden, hob er besänftigend die Hände um mich in meinem Schwall an Fragen zu bremsen. “Uns ist niemand bekannt, der wieder zu Fleisch und Blut geworden ist. Wir können es aber auch nicht ausschließen. Immer wieder, so vermuten wir, verschwindet zumindest die ein oder andere Statue aus den Steilwänden. Was genau damit passiert” – er zuckte mit den Achseln. “Zu:” – er schnippte ebenfalls mit den Fingern – “Wir sind relativ sicher, dass es normalerweise sehr schnell passiert. Wir haben aber auch einen anderen Fall.” Er blickte über den runden Platz an dessen Rand wir nach wie vor standen. “Sie scheint heute nicht hier zu sein.” stellte er ohne weitere Erklärung fest. “Am besten du schaust morgen noch einmal hier vorbei. Sie ist sonst eigentlich jeden Tag hier. Manchmal unternimmt sie aber den ein oder anderen Ausflug.” Er schmunzelte in sich hinein: “Lass dich am besten einfach überraschen.”

Beruhigt, vor Neugierde fast platzend, und unzufrieden, dass es mir nicht gelungen war Yacha, wie der Gelehrte sich vorgestellt hatte, noch mehr Informationen zu ‘ihr’ abzuringen, verließ ich etwas später den Platz. Yacha hatte mir noch eine Schriftrolle gegeben, die wohl ein Forscher meines Heimatkontinents vor vielen Jahren hier verfasst hatte. Die Geschichtspfleger schienen eine Gruppe zu sein, die still und heimlich, der Annahme nach nachts, ihr Werk verrichteten und die Statuen schützten. Sie zeigten sich nie, bis auf eine verhüllte Gestalt, die den Zugang zu ihrem Hauptgebäude bewachte und versperrte. Allzu viel mehr Neues erfuhr ich leider nicht.

Von Yacha lernte ich außerdem, dass die Menschen hier Bildhauer und ihre Werke durchaus schätzen. Aber eher in abstrakter Form, oder der Form von dekorativen Tieren. Abbilder von Menschen in Stein waren verständlicherweise weniger beliebt. So folgte ich den Symbolen die zuerst grob ins Handwerkerviertel führten – ein Hammer und ein Messer gekreuzt – und dort angekommen orientierte ich mich an der unteren Hälfte der Holzpfosten. Hier wurden die Wege innerhalb eines Viertels detaillierter angezeigt.

Mit nur einem kleinen Umweg weil ich die Karte falsch interpretiert hatte, kam ich vor einem Gildenhaus der Bildhauer an. Die Tür stand offen und ich betrat das aufwendig verzierte Haus.

Das Innere war, im Gegensatz zu den meisten Häusern hier, tagsüber gut ausgeleuchtet. Hinter einem einfachen Schreibtisch saß ein kräftig gebauter Mann mit einem kurzen schwarzen Vollbart und kritzelte Zahlen in ein Buch. Er schrieb zu Ende und blickte auf, als ich an den Tisch trat. Erneut mussten meine lückenhaften Sprachkenntnisse herhalten. “Chaye” ich deutete auf mich “Bildhauer – ich will Arbeit” Ich zog ein Gildenabzeichen und Siegel meiner Heimatstadt aus meinem Beutel und zeigte es dem Mann. Er griff danach und musterte es. Dann reichte er es mir zurück, und bedeutete mir zu warten. Eine Weile später kam er mit einem grauhaarigen Bildhauer zurück. “Komm Sobrit” er winkte mich heran.

Ich ging den beiden hinterher und wir gelangten in den Hof des Hauses. Hier waren unzählige Steinblöcke, hautsächlich feinporiges Vulkangestein, aus dem hier Vieles erbaut ist, aufgestapelt. Entlang der rückwärtigen Wand des großzügig bemessenen Hofes waren ein paar Steinblöcke bereits teilweise zu Skulpturen bearbeitet. Ich zählte drei Blöcke, an denen gleichzeitig gearbeitet wurde. Aktuell war nur einer der Arbeitsplätze besetzt. Scheinbar war die ganze Gilde gerade hier versammelt. Kazlane hatte recht gehabt, Bildhauer schienen hier rar zu sein. Der Alte begann mit rauer Stimme zu sprechen. “Sobrit – zeig was du kannst.” Ich deutete auf mich, schüttelte den Kopf und sagte “Chaye nicht Sobrit.” Beide Bildhauer begannen raspelnd und tief zu lachen. ‘Ob sie verwandt waren? ’ Der jüngere winkte ab “Sobrit – Freund” erklärte er. Der ältere nahm ein Papier zur Hand und wies auf ein Stück Vulkanstein, etwa so groß wie mein Kopf, das in einer komplexen Vorrichtung festgehalten wurde. Ich betrachtete das Papier genauer. Darauf war eine Sandechse, der hauptsächliche Fleischlieferant und beliebtes Transportmittel dieser kargen Wüstengegend, abgebildet. Ich verstand. Ich sollte mein Können an diesem kleinen Steinblock demonstrieren. Nun gut – so weit so üblich.

Ich blickte mich um, griff nach einem hellen Fettstift, der auf einem Tisch in der Nähe lag, und begann die Skizze der Echse auf den Stein zu übertragen. Ich orientierte mich dabei am Detailgrad, den die aufgestellten Steinblöcke auf den hinteren Arbeitsplätzen aufwiesen. Wie ich jetzt erkannt, sollten das ebenfalls Sandechsen werden – offensichtlich ein größerer Auftrag. Der dritte Bildhauer hatte seine Arbeit unterbrochen und war ebenfalls herangetreten, um meine Arbeitsprobe zu begutachten.

Nachdem ich mit der Vorzeichnung fertig war, nahm ich Hammer und Meißel zur Hand und begann sorgfältig, Schlag um Schlag das überflüssige Gestein abzutragen. Ich hatte bisher keine nennenswerten Erfahrungen mit Vulkanstein sammeln können, bemerkte aber bald, dass es ähnlich zu bearbeiten war, wie der Kalkstein, den ich nur zu gut aus meiner Heimat kannte. Schnell wurde ich besser im Umgang mit dem Stein und auch die drei Bildhauer die argwöhnisch meine Arbeit betrachteten schienen zufrieden. Der älteste, der hier wohl auch das Sagen hatte, unterbrach mich nach einer Weile. “Gut” sprach er, spuckte sich in die Hand und klopfte mir mit der Faust gegen die Brust. Erwartungsvoll sah er mich an und ich tat es ihm gleich. Eine sehr gebrochene Unterhaltung und viel Gestik später hatten wir uns auf eine Art Vertrag geeinigt. Sechs Stunden würde ich täglich bei ihm arbeiten, bis der aktuelle Auftrag abgeschlossen war. Ein für die kleine Gilde großer und wichtiger Auftrag, wie mir sehr deutlich gemacht wurde. Nicht weniger als einhundertfünfzig Echsen waren von einem der reichsten Händler der Stadt für einen extravaganten Balkon, als Stützen für das Geländer in Auftrag gegeben worden.

So zumindest war der Inhalt des Schreibens, das mir Koochni der Gildenchef mitgegeben hatte. Mir war, nachdem das Gespräch aufgrund meiner mangelnden Sprachkenntnisse sehr ins Stocken geraten war, die rettende Idee gekommen. Ich bat ihn das Wichtigste aufzuschreiben. So konnte ich es mir am Abend von Kazlane übersetzen lassen. “Du hast also Arbeit gefunden.” schloss sie die Übersetzung ab. “Herzlichen Glückwunsch.” “Danke. Darf ich trotzdem erstmal weiter in deiner Gästekammer wohnen? Also nur, wenn es dich nicht zu sehr stört.” “Solange du dich ein wenig an den Essensausgaben beteiligst, sollte das drin sein, denke ich.” Ich glaube sie war insgeheim froh über meine Frage, und die Tatsache, dass sie nicht direkt wieder allein war. Irgendwie war sie mir auf unserer gemeinsamen Reise sehr ans Herz gewachsen. Sie war zwar meist gesprächig und fröhlich, hatte aber auch etwas sehr traurig Melancholisches in ihrem Blick, wenn Sie sich unbeobachtet fühlte. “Vielen Dank! Ich weiß das sehr zu schätzen.” Über meine Erkenntnisse vom Platz der Gelehrten schwieg ich größtenteils. Mir war klar, dass sie aus einem bestimmten, mir unbekannten Grund, nicht gerne über die Statuen sprach. So berichtete ich ihr lieber von meiner Faszination für die Maschinen, die die Menschen hier entwickelt hatten. Die Gilde hatte beispielsweise ein ausgeklügeltes Kransystem, mit dem sich die schweren Steinblöcke mühelos über den Hof bewegen ließen. “Es wirkt wie Magie. Einfach ein paar Hebel ziehen und du kannst den Block mühelos in alle Richtungen bewegen. Und so präzise wie von Hand.” “Die ganze Stadt ist von einem Rohrnetzwerk durchzogen.” Sie schritt zu einer der Lampen und drehte sie auf. Sofort begann eine kleine Flamme, von einem ausgeklügelten Spiegelsystem verstärkt zu leuchten. “Sie leiten Gas in quasi jedes Haus. Zusätzlich wird Druck, der im Vulkan erzeugt wird, genutzt im Heber zu bedienen.” Sie zog an einem Hebel neben der Kochstelle. Aus dem Boden kam ein Regal gefahren. Darin hatte Kazlane Fleisch, etwas karges Gemüse und ein paar Steinflaschen gelagert. Sie nahm eine Flasche heraus. “Das ist ein Kälteschrank. Der Raum unten in dem er sich befindet wird ähnlich gekühlt wie die Räume oben. Nur etwas stärker und natürlich auf kleinerem Raum. Dadurch wird auch der Ziegenschnaps trinkbar.” Sie befüllte zwei keine Gläschen. Den Rest des Abends verbrachten wir damit, dass ich Kazlane mit großer Wissbegierde mit meinen Fragen über die Funktionsweisen der einzelnen Hebel und Leitungen auf die Nerven ging.

Früh am nächsten Morgen brach ich auf zu meinem neuen Arbeitsplatz. Kazlane hatte mir die typische haltbare Mahlzeit der Gegend, in Teig eingebackenes Echsendörrfleisch als Stärkung mitgegeben. Ich wollte möglichst früh mit der Arbeit fertig sein, um die mysteriöse Frau, die der Gelehrte erwähnt hatte, nicht zu verpassen.

 

“Du bist früh Sobrit” wurde ich vom Chef begrüßt. “Gut” “Hallo Koochni”.

Ich machte mich an die Arbeit und hatte bald die Freude für meinen Beruf erneut entdeckt. Ich kam beim Arbeiten oft in einen Zustand, in dem ich die Zeit nicht bemerke. Meißel ansetzen, Hammer heben, Schlagen, kontrollieren, von vorne. Die Arbeitszeit ging schnell vorüber und zufrieden, und erschöpft, wusch ich mich am Brunnenbecken, das auf dem Hof links neben dem Eingang zum Haus stand. Ich verabschiedete mich und brach auf Richtung Platz der Gelehrten.

Der Platz war heute etwas belebter. Eine besonders große Gruppe war anscheinend gerade in hitziger Diskussion verwickelt.

„Hallo Yacha“ begrüßte ich den Gelehrten, mit dem ich gestern gesprochen hatte in seiner Sprache. „Chaye! Konntest du deine Wissbegier nicht länger im Zaum halten?“ Yacha trug wieder das wohlwollende Lächeln von gestern im Gesicht. „Du hast Glück“, er deutete auf die große Gruppe, die mir schon bei meiner Ankunft aufgefallen ist, „heute ist sie wieder hier. Siehst du die Dame in ihrer Mitte? Mit den dunkelbraunen Locken? Betrachte sie etwas genauer.“

Auf den ersten Blick konnte ich nichts Ungewöhnliches entdecken. Sie saß von vielen verschiedenen Menschen umringt auf dem Platz. Ihr Gesicht kam mir irgendwie vertraut vor, aber ich konnte nicht genau sagen, woher. Sie trug die gleiche Gelehrtenrobe wie Yacha und einige andere hier. Ihre war nur von etwas kräftigerer Farbe – nicht ganz so ausgewaschenes blau, sondern strahlender, vermutlich einfach etwas neuer. Dann bewegte sich eine der Umstehenden etwas nach links.

„Bei Pandais Meißel!“ entfuhr es mir. „Was ist denn mit ihren Beinen?“ Yacha lächelte traurig. „Nun, wie du siehst geht die Verwandlung nicht immer“ – er schnippte mit den Fingern. „Sie ist so ziemlich die einzige Person, die nicht vollständig zur Statue wurde. Anscheinend hat sie in irgendeiner Weise ihren Antrieb wiedergefunden, bevor es vollständig zu spät war. Seitdem ist sie so gut wie jeden Tag hier und hat es sich zum Ziel gesetzt, jede Schriftrolle, die es hier gibt zu lesen. Sie lernte inzwischen sogar deine Sprache. Und sie ist gerne bereit, alle Fragen zu beantworten, stellt sich sozusagen als Forschungsobjekt zur Verfügung. Wenn du etwas wartest bis die meisten wieder weg sind, kannst du sicher mit ihr reden.“

So beschäftigte ich mich eine Zeit selbst, las, mit Yachas Hilfe ausgewählte Schriftrollen zur Bildhauerei und etwas mehr zu den Statuen. „Wirklich erstaunlich, wie wenig über den ‚Fluch‘ so bekannt ist.“ „Wir haben erst vor wenigen Jahrzehnten angefangen uns wissenschaftlich damit zu beschäftigen. Lange galt es als Strafe der Götter oder Fluch von Dämonen, es war regelrecht ein Tabu darüber nachzudenken. Mehr oder weniger ist der ganz alte Teil der Stadt, den du durchqueren musst, um hier her zu gelangen, das Ergebnis dieses Glaubens. Die Menschen wurden zu Stein, und ihre Mitmenschen ließen sie als Mahnmal, ja fleißig und gehörig zu sein, stehen. Die Statuen waren damals einfach Teil des Lebens der Menschen. Niemand hinterfragte es. Es wurde der Willkür höherer Gewalt zugeschrieben. Nun, höhere Gewalt kann durchaus im Spiel sein. Viele Ärzte, auch außerhalb der Stadt haben versucht eine Erklärung zu finden. Sie alle sind sich einig, dass selbst mit den aberwitzigsten Tränken der Sumpfhexer sowas nicht möglich ist. Sicherlich erstarren lassen, das ist eine Sache – Fleisch wirklich vollständig und unbemerkt in Stein zu verwandeln eine völlig andere.“

Inzwischen war die große Gruppe langsam kleiner geworden und die Frau mit den versteinerten Beinen schien ihr letzten Gespräche zu beenden. Yacha war aufgestanden und ich machte mich daran ihm zu folgen, als ich sah wie eine andere Frau dazu kam, ausholte, und der sitzenden Frau eine schallende Ohrfeige verpasste. Sie wich dem Gegenschlag aus, drehte sich auf dem Absatz herum und verließ den Platz. Entgeistert blickte ich zu Yacha, der mich wissend ansah. „Was genau war das denn? Warum hält niemand die Frau auf?“ „Auf diese Weise bleibt ihr immer noch Rache als letzter Antrieb.“ Lautete seine knappe Erklärung.

Leicht erschüttert von der Szene, die sich gerade vor mir abgespielt hatte, trat ich mit Yacha vor. „Ysma, das hier ist Chaye aus Foeltahl.“ Stellte er mich in seiner Muttersprache vor. Dann fuhr er in meiner Sprache fort: „Er ist erst seit kurzem hier und interessiert an unserer Geschichte.“ Mit großen dunklen Augen in denen eine fast kindliche Neugier blitzte, betrachteten mich. „setz dich.“ Ich ließ mich neben ihr auf einem Kissen nieder. „es ist schön deine Sprache einzusetzen. Hier sprechen sie nicht so viele, da komme ich nicht zum Üben.“ Ich betrachtete die junge Frau ebenso neugierig. Dabei zwang ich mich, nicht auf ihr Beine zu schauen. Wieder überkam mich ein Gefühl leichter Vertrautheit in ihren Gesichtszügen, aber ich konnte es nicht zuordnen.

„Was bringt dich in diese Stadt?“ „Ich bin Bildhauer. Ich bin in Foeltahl losgereist weil ich das Gefühl hatte die Inspiration verloren zu haben. Unterwegs habe ich jedes bedeutende Kunstwerk gesehen, das auf meinem Kontinent zu finden war. Und dann zu diesem aufgebrochen. Mir wurde Unglaubliches in dieser Stadt versprochen, und“ ich konnte den Impuls auf ihre Beine zu blicken nicht länger unterdrücken „…und du hast Unglaubliches zu sehen bekommen.“ Beendete Ysma meinen Satz. „Verzeihung, ich wollte nicht…“ sie winkte ab. „Keine Sorge, ich bin mir sicher das ist der Grund für unser Gespräch. Außerdem habe ich nichts dagegen, ich beantworte gerne Fragen. Jede Idee mehr, jeder neue Blickwinkel hilft mir vielleicht das hier loszuwerden“ – sie klopfte mit dem Knöchel auf ihre Unterschenkel. Es klang wirklich wie Marmor. „Darf ich mir deine Beine genauer ansehen?“ fragte ich zögerlich. „nur zu“ traurig lächelnd deutete sie auf ihre Füße. Fast die gesamten Unterschenkel und die Füße waren versteinert. Nur knapp unterhalb der Knie, bis hierhin reichten die Hosenbeine der weiten Bundhose, war wieder ihre bronzefarbene Haut zu sehen. Ich streckte zögernd die Hand aus und berührte ihren Fuß. Es sah nicht nur aus wie Marmor es fühlte sich auch genauso an. Ich kramte kurz in meinem Beutel und holte eine kleine Lupe hervor. „Was ist das?“ „Eine Lupe, wir Bildhauer nutzen sie um manche Rohlinge auf Haarrisse und andere Makel zu untersuchen. Ein falsch gesetzter Schlag und der gesamte wertvolle Steinblock und bisherige Arbeit ist unbrauchbar.“ Interessiert beäugte sie mich dabei wie ich ihren Knöchel mit der Lupe untersuchte. Es war makelloser Stein. Keine Werkzeugspuren – nicht, dass ich welche erwartet hatte – und auch keine Probleme. Für einen Bildhauer wäre ein Rohling in dieser Qualität Gold wert. „Und?“ „Nun es ist allem Anschein nach feinster Marmor. Mehr kann ich leider auch nicht sagen. Wie ist das passiert?“ Ysma hatte die Frage ganz offensichtlich erwartet und antwortete routiniert: „Ich war bis es passiert ist Jägerin. Oft draußen und mit leichtem Schlaf, die Wüste ist gnadenlos. Eine nachts, als ich gerade wieder einmal zu Hause in der Stadt war, bin ich plötzlich aus dem Schlaf aufgeschreckt, ich denke, ich muss ein Geräusch gehört haben. Ich bin mir auch sicher, da war jemand. Gesehen habe ich nichts. In meinen Beinen fühlte ich auch nichts mehr. Seitdem…“ sie schüttelte kurz den Kopf. „seitdem schlafe ich auch nicht mehr alleine. Es ist immer jemand wach bei mir. Yacha hat das organisiert. Ich kann die Hilfe auch gut gebrauchen, es ist nicht gerade einfach mit Marmor statt Beinen.“ Jetzt bemerkte ich auch, dass im Schatten hinter ihr ein paar schlafende Gestalten lagen. Vermutlich ihr Hilfe und Nachtwache. Ysma blickte eine Weile vor sich hin. Dann kehrte das Blitzen in ihre Augen zurück. „ich habe mir gedacht, die Leute sagen, nur wer den Antrieb verliert wird zur Statue. So ganz kann ich das nicht glauben, aber zur Sicherheit werde ich jede einzelne Schriftrolle hier lesen!“ Ihr Blick wanderte zu Yacha. „Außerdem unterstützen mich die Gelehrten hier sehr.“ Ein sanftes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit.

Ich hatte das Gefühl, dass das Gespräch an dieser Stelle beendet war. Sicher war es trotz aller Willenskraft kein leichtes Los, als halbe Statue zu leben und den Kampf nicht aufzugeben.

Ich bedankte mich bei Ysma und verabschiedete mich und kehrte zu Kazlanes Haus zurück. Ich fand das Haus leer vor und so zog ich mich nach einem einfachen Mahl in meine Kammer zurück. Erschöpft von meiner Arbeit schlief ich ein, während ich in Gedanken die heute gelernten Informationen durch ging.

Eine in dunkle Kleidung eingehüllte Gestalt trat aus dem Schatten, den die Steilwände in dieser Nacht gegen den Vollmond warfen. Leise schlich sich die Gestalt auf dem Flachdach entlang. Sie drehte sich im Mondlicht um und blickte mit leeren Augen zu den unzähligen Einkerbungen in der Steilwand, bevor sie sich über die Kante des Dachs auf ein darunterliegendes fallen ließ.

Katzengleich landete der Schatten lautlos und lief zielstrebig weiter einer nur ihm bekannten Route über die Dächer von Guvastap folgend.

Aus der entgegengesetzten Richtung kamen weitere identische Verhüllte an. Wie auf ein Kommando, schwangen sie sich vom Dach auf den Balkon. Durch das kleine Fenster drang unruhiges Schnarchen.

Still und unbeweglich warteten die schemenhaften Figuren. Die Geräusche von drinnen verstummten.

Es gab Arbeit.

Unruhig wälzte ich mich im Schlaf hin und her. Ich huschte im Traum schnell und geschickt über die Dächer der Stadt wie eine Ratte. Mein Ziel schien eine der Steilwände zu sein. Die Steilwände bogen sich und bald lief ich im Kreis an der Steilwand entlang, die mich immer weiter einkesselte. Sauber aufgereihte Statuen drehten mit ihr Köpfe zu, ihre leblosen Augen starrten mich an. Ich riss meinen Blick los und richtete ihn nach vorne. In der Ferne schwebte etwas in der Luft. Ich rannte so schnell mich meine kleinen Beine trugen. ‚Was genau war ich eigentlich?‘ Ich erkannte, was da in der Luft schwebte. Ein abgebrochener Arm aus Stein winkte mir zu. Holte aus. Schlug zu.

Schweiß gebadet schreckte ich auf. Mein Hemd klebte an meinem Rücken. Meine Beine…ich konnte meine Beine nicht spüren. Ein Schrei blieb mir röchelnd in der Kehle stecken.

Ich begann zu husten, schlug die Augen auf und war schlagartig wach. Ich zwickte mich in den Oberschenkel. Aua. Diesmal war ich wirklich wach. Vorsichtig versuchte ich mit den Zehen zu wackeln. Erleichtert schlug ich das Laken beiseite und bewegte meine Füße. Bleich, wie ich nun mal war, aber kein Marmor. Mit einem befreienden Seufzen und leisem Kichern, sank ich zurück ins Kissen. Ich nahm einen Schluck Wasser, drehte mich auf die Seite und schlief wieder ein.

Der Rest der Nacht war glücklicherweise traumlos vorbei, allerdings fühlte ich mich trotzdem wie gerädert, als ich im Morgengrauen erwachte.

„Guten Morgen.“ Kazlane musste irgendwann wiedergekommen sein. „Du siehst grauenhaft aus.“  „Danke“ murmelte ich, während ich mir einen Tee, der passenderweise einfach nur Wachwurzel genannt wurde, einschenkte. „Ich habe ziemlich mies geschlafen.“ Ich verzog kurz das Gesicht. Wachwurzel war ziemlich bitter und etwas gewöhnungsbedürftig. „Ich hätte es fast nicht erraten. Dabei hast du gestern anscheinend schon geschlafen als ich wiederkam.“ „Ich bin es einfach nicht mehr gewohnt zu arbeiten.“ Langsam kehrten meine Lebensgeister etwas zurück. „Wo warst du eigentlich so lange?“ „Ich habe meine Schwester getroffen. Ich sehe sie nicht oft. Ich bin ja selbst meist nicht lange in der Stadt. Außerdem verstehen wir uns auch nie lange gut.“ Sie zuckte mit den Achseln. „Aber sie ist immerhin die einzige Familie, die mir noch bleibt.“ Kazlane hatte mir irgendwann auf unserer langen gemeinsamen Überfahrt anvertraut, dass ihre Eltern schon als sie noch recht jung war, gestorben waren. „Von deiner Schwester hast du bisher noch nichts erzählt.“ „Wie gesagt, wir verstehen uns meist nicht lange gut.“ Wohl bei dem Gedanken an ihren gestrigen Besuch verfinsterte sich ihr Blick kurz. Ich hielt es für angebracht besser schweigend auf die volle Wirkung der Wachwurzel zu warten.

Die nächsten Tage und Wochen vergingen ohne großartige Änderung in meinem neuen Tagesablauf. Ich ging meist recht früh zur Gilde und arbeitete neben meinen drei Kollegen an den vielen Sandechsen, die in unterschiedlichsten Haltungen, aber alle, aufs Strengste von Koochni kontrolliert, in exakt gleicher Größe, bald ein ausladendes Balkongeländer tragen sollten.

Ich begann gerne früh am Morgen, wenn die Luft in der Stadt noch kühler war, und die Sonne noch nicht direkt auf den Hof schien. In den Pausen machte ich oft Skizzen von den Apparaten, die hier die Arbeit erleichterten. Sicher, in meiner Heimat gab es auch diverse Flaschenzüge und Hebeapparaturen, aber zum technischen Fortschritt, den die Bildhauer hier gemacht hatten, war das kein Vergleich. Ich beobachtete auch, dass die Bildhauer hier praktischer veranlagt sind. Bald stellte ich kleine Unterschiede, etwa bei der Art des Skizzierens auf dem Stein fest. Ich hatte das Gefühl, meine Kollegen hier arbeiteten wesentlich pragmatischer, berechneter als die in meiner Heimat, in der vor allem nach Intuition und Gefühl gearbeitet wird. Auch bei den Werkzeugen dafür gab es Unterschiede. Koochni brachte mir den Umgang mit einem Werkzeug namens Schlangenzahn bei. Ein Meißel mit zwei Spitzen, das die Bildhauer hier wohl statt des Prellers nutzen, mit dem wir in meiner Heimat die Grobarbeit erledigen und viel Material entfernen. Andere Bereiche, beispielsweise Schlagtechniken waren erstaunlich identisch.

Meine Nachmittage und Abende verbrachte ich oft auf dem Platz der Gelehrten oder in Kazlanes Haus. Kazlane, Yacha und Ysma brachten mir mehr von ihrer Landessprache bei. Kazlane war eine ungeduldige Lehrerin, Ysma wollte viel lieber in meiner Sprache sprechen. Yacha war dafür ein geborener Lehrer. Langsam wurde ich besser und konnte auch mit meinen Kollegen detaillierter über die Maschinen und Techniken sprechen.

Meine Bekanntschaft mit Ysma hielt ich vor Kazlane geheim. Ich hatte das Gefühl, sie wolle sowieso nicht über die Statuen sprechen, und Ysma war zumindest zum Teil eine. Wir hatten aber sowieso andere Gesprächsthemen, die auch für Kazlane interessant war.

Es war ein angenehmes, wenn auch anstrengendes Leben. Wenn da nicht die Alpträume gewesen wären. Seit ich das erste Mal schweißgebadet aufgewacht war, hatte ich Nacht für Nacht schlechte Träume von Statuen, die mich in den Felsen zogen, oder in denen ich selbst zu einer Statue wurde. Pandai sei gepriesen für die Entdeckung der Wachwurzel.

„In ein paar Wochen werden die Sandstürme nachlassen. Dann werden kurze Zeit später die ersten Karawanen losziehen. Dann heißt es auch für mich wieder ab an die Arbeit.“ Kazlane arbeitete als Kundschafter für eine der vielen Handelsgesellschaften in Guvastap. Obwohl, oder wahrscheinlich eher, gerade weil sie so abgelegen war, besaß Kazlanes Heimatstadt eine riesige Zahl solcher Gesellschaften. Meist sandten sie Kundschafter aus, um besonders lohnende Handelsziele auszumachen. So konnten die Karawanen vor den Sandstürmen zurückkehren. „Willst du wieder zurück nach Foeltahl? Ich gehe stark davon aus, dass sie mich auch wieder in die Richtung schicken. Dann könnten wir wieder gemeinsam reisen, das würde ich sehr begrüßen.“

Ich hatte Kazlane nichts von meinen Alpträumen erzählt, es hatte mit Statuen zu tun und ich wollte sie nicht beunruhigen. Sicherlich konnte sie sehen, wie mir die mangelnde Erholung zusehends zusetzte. „Das fände ich auch schön. Ich muss nur Koochni schonend beibringen, dass ich keinen weiteren Auftrag mehr annehmen kann. Mit den Echsen sind wir glücklicherweise bald durch. Ich glaube ich habe jetzt ein Echsenstatuen Trauma.“ Kazlane ignorierte meinen schlechten Witz. „Dann sollten wir die nächsten Tage zur Gesellschaft gehen und dich mit für die Karawane registrieren. Wenn wir gemeinsam mit den Händlern losziehen, ist der Weg durch die Wüste wesentlich sicherer und bequemer.“ „Können wir gerne machen. Ich müsste auf dem Rückweg noch diese Schriftrollen hier wieder zurück zum Platz der Gelehrten bringen. Yacha hat mir ausnahmsweise erlaubt die Rollen mitzunehmen.“

Die Aussicht, wieder mit Kazlane zu reisen und nicht allein oder in der Gesellschaft mir völlig Unbekannter unterwegs zu sein, stimmten mich fröhlich. So brachen wir am nächsten Tag nach meiner Arbeit gemeinsam auf. Bisher hatte ich mich nur in einem kleinen Teil der Stadt aufgehalten. Der Weg zu Kazlanes Arbeitgeber war etwas länger. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie riesig die Stadt eigentlich war. Das Tal, in dem die Stadt errichtet war, hatte nur den einen Zugang, den wir auch bei unserer Ankunft genommen hatten. Sollte jemals jemand dumm genug sein, die Stadt anzugreifen, musste nur die Hängebrücke zerstört werden. Links und rechts der Stadt erhoben sich die Steilwände. Hunderte Meter hoch und praktisch unpassierbar. Nur am Ende des Tals erhob sich die Stadt in die Lüfte. Hier begann der Fuß des Berges, der das Tal hier verschloss. Aus der Ferne wirkten selbst die riesigen Prunkbauten, die sich dort befanden, winzig klein. Vor einem davon würden bald die übertrieben vielen Sandechsen, die ich mit der Bildhauergilde gerade fertigte, einen Balkon zieren. Was für eine Aussicht das sein musste. Vielleicht würde ich auch beim Aufstellen und Anbringen der Skulpturen mithelfen. Koochni hatte das in angedeutet.

Wir passierten einige Marktplätze, die aber unter der Kontrolle einer anderen Handelsgesellschaft standen. Schließlich deutete Kazlane auf die weit geöffneten Flügeltüren eines Gebäudes. „Wir sind da. Da drüben müssen wir uns registrieren. Halte am besten dein Siegel bereit.“

„Herzlich willkommen bei der 1000 Waren Hand…. Ach Hallo Kazlane.“ Lautete die unvollständige Begrüßung hinter einem Empfangstresen. „Hi. Ich und mein Freund hier“ – sie deutete in meine Richtung – „wollten uns für die Karawane nach Foeltahl registrieren. Hier mein Lohnschein und hier sein Gildensiegel.“ „Einen kleinen Moment, das haben wir gleich.“ Er verschwand in einem Raum gleich hinter seinem Tresen und kehrte mit einem dicken Wälzer zurück. „Karawane 42, Foeltahl, 2 Plätze, und hier bitte schön. Die Karawane ist, vorausgesetzt die Wetterdeuter haben recht, für die Abreise in zwanzig Tagen eingeplant.“ „Schaffst du das, mit deinem Auftrag?“ „Sollte drin sein. Ich denke, dass wir in etwa acht Tagen damit durch sind.“ Ein paar verpflichtende Informationen später war alles Organisatorische geklärt. Wir würden mit der Karawane losziehen und mit ihnen bis fast ganz in meine Heimatstadt reisen. Kazlane wollte dann in den Westen des Kontinents weiterreisen. Was ich dann vorhatte, würde ich mir auf der Reise überlegen. Meine Stimmung jedenfalls besserte sich ungemein. Wenn ich hier wegkäme, würden bestimmt auch die Alpträume bald aufhören.

Auf den Rückweg bogen wir in Richtung Platz der Gelehrten ab. Schnell machte ich Yacha ausfindig. „Ich habe die Rollen hier, die ich mir ausgeliehen habe.“ „Willst du noch ein paar andere mitnehmen?“ „Nein danke, ich glaube ich werde nicht mehr so viel zum Lesen kommen. Wir haben uns gerade für eine Karawane zurück registriert. Zurück nach Foeltahl.“ „Das ist schade. Ich werde unsere Gespräche sehr vermissen. Du bist ein guter Schüler, neugierig, wissensdurstig.“ „Ich bin mir sicher, was ich hier gelernt habe, wird mir auch in Foeltahl helfen. Vor allem die Technik, die ihr hier im Einsatz habt.“ Ich pfiff leise, und zog mein Notizbuch aus der Tasche. Ich hatte die Rollen mit Skizzen und vor allem die Mitschriften über Aufbau und Funktion der ganzen Maschinen in Koochnis Werkshof geglättet und von einem Buchbinder zu einem Notizbuch zusammenfügen lassen. „Saubere Arbeit.“ Yacha reichte mir das Buch zurück. Er deutete hinter mich „dort kommt noch jemand, der die Gespräche mit dir vermissen wird.“

Ich drehte mich um. Eine Menschenansammlung war gerade angekommen. Gerade wurde eine junge Frau in einem Stuhl auf den Platz getragen. Wie immer in Begleitung einer großen Gruppe Gelehrter. Sie erkannte uns und deutete in unsere Richtung.

„Ysma!“ sagte ich freudig.

„Ysma!“ grummelte Kazlane düster.

„Schwester!“ rief Ysma freudestrahlend. „und Chaye!“

Verdutzt blickte ich zu Kazlane. „Schwester?“ „Ja, Ysma ist meine Schwester.“ Schlagartig wurde mir auch klar, warum Ysma mir jedes Mal so bekannt vorkam. Jetzt wo ich beide zusammen sah, war die Verwandtschaft unverkennbar. Noch etwas wurde mir bewusst: Warum Kazlane so ungern über Statuen sprach. Wer wurde schon gerne daran erinnert, dass die eigene Schwester jederzeit vollständig zu Stein erstarren konnte. Ysma ließ sich von Kazlanes grimmiger Miene nicht abhalten. Ihre Träger stellten Ysmas Stuhl vorsichtig auf dem Boden bei uns ab. „Es hat mich jedenfalls gefreut, dass du dich dazu durchringen konntest mich zu besuchen. Auch wenn du mit all dem hier“ – sie deutete wage um sich – „nicht einverstanden bist.“ Kazlane schwieg.

Sichtlich gequält versuchte Yacha das Thema zu wechseln. „Chaye und Kazlane werden uns schon bald wieder verlassen.“ Ysmas Lächeln erstarrte. „Wieso das denn? Bin ich so schlimm?“ fügte sie grinsend in Kazlanes Richtung hinzu. Außer einem bösen Blick erhielt sie aber keine Antwort. Ysma versuchte es bei mir: „Warum geht ihr denn schon wieder? Und wohin?“ „Nun,“ begann ich entschuldigend und suchte nach den richtigen Worten: „Ich bin ursprünglich hergekommen, weil ich meine Inspiration verloren hatte. Ich habe von den …. den Statuen gehört und wollte es unbedingt mit eigenen Augen sehen. Jetzt wo ich weiß was dahinter steckt, und … nachdem ich so viele neue Eindrücke, so viele Skizzen und neue Techniken gesammelt habe, wird es Zeit in meine Heimat zurückzukehren. Und nachdem die Sandstürme bald vorbei sind, werden wir uns einfach einer Karawane anschließen.“ Yacha und Ysma einfach so zu verlassen quälte mich schon ein wenig. In der doch eher kurzen Zeit, die ich mit den beiden verbracht hatte, sind wir doch Freunde geworden. Ysma blickte ein wenig traurig. „Das ist wirklich schade. Du könntest doch noch eine Saison länger bleiben. Mehr sammeln, mehr lernen, …“ Ysma brach ab, als Yacha ihr sanft den Arm auf die Schulte legte. „Chaye wird sich das sicherlich gut überlegt haben.“ „Ich werde euch sicherlich auch vermissen. Aber vielleicht treibt es mich ja mal wieder in diese Stadt. Und in meiner Heimat vermisst man mich vielleicht ebenfalls bereits.“ Der letzte Teil war gelogen. Ich war in Foeltahl, geschweige denn darüber hinaus, kaum bekannt. Ein mittelmäßiger Bildhauer mit wenigen Freunden und noch weniger Sponsoren und Käufern. Wenn ich Glück hatte, würde es mir aber gelingen, das mit dem gesammelten Wissen hier zu ändern. Es ging schließlich nicht jeden Tag ein Bildhauer auf Weltreise, noch seltener kehrte jemand zurück. Ysma streckte ihre Arme aus und winkte mich heran. Ungelenk ließ ich mich von ihr umarmen. Die viel offenere Art im Umgang miteinander hier war mich nach wie vor etwas befremdlich. „Ich hoffe jedenfalls du kommst noch ein paar Mal hier vorbei, bevor du endgültig wieder aufbrichst. Und du könntest mich ruhig auch noch mal besuchen, Kaz.“ Kazlane nickte bei dieser letzten, an sie gerichteten Aussage nur kurz und drehte sich dann um. „Komm lass uns zurück gehen, wenn du hier fertig bist.“ Entschuldigend lächelte ich Yacha und Ysma zu. „Macht’s gut, ich werde in den nächsten Tagen auf alle Fälle noch hierherkommen.“

Schweigend folgte ich Kazlane vom Platz zurück zu ihrem Haus. Inzwischen wusste ich, dass sie sowieso nicht darüber reden würde, bis sie es wollte. Ich versuchte gar nicht erst sie zu überreden. Stattdessen schwallte ich sie über irgendwelche Pläne zurück in Foeltahl zu. Kazlane beteiligte sich nur spärlich am Gespräch und ging früh zu Bett.