Shadowrun

Peter Heidegger war eine Drohne wie sie im Buche stand. Immer pünktlich, immer loyal und immer zu Überstunden bereit falls sein Vorgesetzter mal wieder Zeitdruck bei der Fertigstellung eines Projektes bekam.

“Drek” dachte er sich als er das Dokument öffnete, das ihm Schwanz, sein Vorgesetzter, zur Überarbeitung geschickt hatte.

Gleich in der ersten Zeile des Dokumentes fiel ihm direkt ein Fehler auf.

“Der Typ ist sowas von unfähig”, murmelte er vor sich hin.

Aber was sollte man bei so einem Namen auch erwarten... Schwanz...wie konnte der Typ mit so einem Namen überhaupt ins Management gelangen.

Aber das Dokument war nun seine Aufgabe und die gedachte er mit Sorgfalt zu erledigen. Zuallererst brauchte er eine Tasse Kaffee. Er sperrte sein Terminal und ging in die Büroküche. Um diese Zeit, es war immerhin zwanzig nach acht, war keine Metamenschenseele auf der Etage. Er war mal wieder der letzte. Er seufzte und streckte die Hand aus um den Knopf für einen großen, extrastarken Kaffee zu drücken.

“Hey Peter!”

Peter zuckte zusammen und schüttete sich den heißen Kaffee über die Hand.

“Drek” rief er mehr vor Schreck als vor Schmerz.

“Hallo Johannes”

Johannes Westerman stand in der Hierarchie des Büros auf einer Stufe mit Peter.

Peter konnte Johannes nicht leiden. Ständig viel zu gut gelaunt und viel zu nett zu allen. Und viel zu laut. Was als Troll auch nicht schwer war

“Was machst du denn noch um diese Zeit hier? Schlaf ist was für die Schwachen, was? Haha!” dröhnte Johannes

Peter lächelte gezwungen. Was wollte der Typ denn jetzt?

” Ja, Schwanz hat hat mir noch was reingedrückt”

Als er den Mund zumachte, bemerkte er was er gerade gesagt hatte. Bevor er sich mental darauf vorbereiten konnte, dröhnte das kehlige Lachen des Trolls durch die leeren Flure. Peter verzog das Gesicht als er von einem Schwall schaler Atemluft getroffen wurde und riechen konnte was der Troll zu Abend hatte: Spaghetti mit Knoblauch.

“Hihi” kicherte Johannes. “ Dann will ich nicht weiter stören. Viel Spass euch beiden”

Peter verdrehte die Augen als er sich einen neuen Kaffee zog und wieder zu seinen Terminal zurückging um sich an die Arbeit zu machen

Immer noch kichernd lief Johannes ihm hinterher.

“Ich wollte dich noch was fragen” setzte der Troll an.

Peter drehte sich um.

“Hast du noch den Quartalszahlen bei dir gespeichert? Ich habe die Datei irgendwo verlegt und muss morgen den Bericht bei Schwanz abliefern”

“Ja die habe ich abgelegt. Aber du musst unbedingt dein Ablagesystem ändern, das ist schon das dritte mal das ich dir aus dem Drek helfen muss”

“Jaja”, sagte der Troll und schaute Peter hoffnungsvoll an.

“Kannst du mir die Datei bitte kopieren und mir schicken?”

“Ja, du hast sie in ein paar Minuten.”

“Super, hast was gut bei mir”

Peter drehte sich erneut um und wollte zu seinem Terminal gehen, als Johannes einen Laut von sich gab, der Klang als ob er noch etwas sagen wollte.

Johannes fehlte ein Auge. Dort wo es sich befunden hatte, war ein rotes Loch.

Erneut gab Johannes diesen Laut von sich. Dann drehte er sich langsam um und fiel auf die Knie.

Peter sah entsetzt zu wie der riesige Troll zusammensank und dabei den Blick auf seinen Hinterkopf preisgab. Oder was davon übrig war.

Plötzlich spürte er wie ihm etwas kaltes, hartes an den Kopf gehalten wurde

“Nicht bewegen.” hörte er eine Stimme direkt hinter sich.

“Wenn Du dich bewegst, ergeht es Dir wie deinem Kollegen”

Peter`s Blase entleerte sich. “Shadowrunner!”, dachte er. Was wollte die hier? Seine Abteilung war nur ein winzig kleines Rädchen in dem großen Uhrwerk des Konzerns.

“Hast du verstanden, Norm?”

Peter nickte. Der Druck an seinem Hinterkopf ließ nach.

Ein Ork trat in sein Blickfeld. So hässlich wie nur Orks sein können, hatte er zahlreiche Piercings und verchromte Hauer, welche sich in der verspiegelten Brille ins unendliche vervielfältigten.

“Immer mit der Ruhe, dann passiert nichts” sagte der Ork.

In der Hand hielt er eine riesige Pistole, die er auf die Stirn von Peter richtete. Peter erstarrte als er in die Mündung starrte.

“Ey, Wanze”, rief der Ork scheinbar ins Leere.

“Ja, wir sind drin. Mussten einen geeken. Ja, einer lebt noch. Gut ich frag ihn”

“Hast du Zugang zur internen Matrix?” fragte der Ork?

Peter schöpfte Hoffnung.

“Ja” antwortete er eifrig. “ Ich habe sogar einen Zugang zum Managment-Bereich der Matrix” ergänzte er nicht ohne Stolz.

Der Ork bedachte ihn mit einem Blick, bei dem Peter sich wie ein kleines Ungeziefer vorkam, das kurz davor steht zertreten zu werden.

“Hast du das gehört, Wanze?” fragte er ins Nichts

Nach einigen Sekunden stillen zuhöhrens, während denen die Waffe keinen Millimeter wankte, wandte sich der Orkwieder an Peter.

“Zeig mir dein Terminal” wieß er Peter an.

Peter gehorchte und ging mit dem Ork im Schlepptau quer durch das Büro zu seinem Arbeitsplatz. Die ganze Zeit meinte er zu spüren, wie die Pistole seinen Hinterkopf berührte.

“Steck das rein.” Der Ork gab Peter ein kleines Ding in die Hand. Peter fummelte herum und fand schließlich einen Port der passte.

Wieder hörte der Ork ins Leere. “Meld dich an” sagte er

Peter gehorchte abermals

“Bist du drin? Kommst du an die Daten?” Eine kleine Pause”

“Alles klar, was machen wir mit dem hier?” Die Augen des Orks zuckten kurz zu Peter.

“Muss das sein? Ja ja ich weiß er hat mein Gesicht gesehen. Aber...Mh ja” Der Ork seufzte. “ JAAA” sagte er genervt. “Hab verstanden, keine Zeugen”

Peter machte sich erneut nass. Der Ork drehte sich um, richtete erneut die Waffe auf Peters Stirn.

“Sorry, nicht persönlich nehmen” Peter sah echtes Bedauern in den Augen des Orks bevor alles dunkel wurde.

Stuttgart-Tübingen

Um 6 Uhr morgens war im Industriegebiet Steinlachwasen noch ziemlich tote Hose. Generell war dieser Teil Stuttgarts ziemlich ruhig, fast schon provinziell. Tübingen war eine alte Universitätsstadt gewesen, bevor der alles überwuchernde Sprawl von Stuttgart über das Neckartal gewachsen war und sich alles auf seinem Weg einverleibt hatte. Tübingen war zu einem bloßen Stadtteil von Stuttgart geworden. Universitätsstadt oder nicht, hatte Tübingen dann doch eine Anzahl kleinerer Firmen und Kons in petto, die hauptsächlich in der Automobilbranche als Zulieferer tätig.

Es gab aber auch Kons die es sich in Ihrer eigenen Nische gemütlich gemacht hatten und sich bisher gegen eine Übernahme gestemmt hatten

Zu einem dieser kleinen Kons Picasso war unterwegs. Picasso hieß eigentlich Hannes Häberle, aber er hasste seinen Namen,er war der Inbegriff des schwäbischen Spießertums. Als Jugendlicher war er einmal mit ein paar anderen in eine Galerie eingestiegen um das Geld aus der Kasse zu klauen. Das war ein ziemlich bescheuerter Plan gewesen und keine zwei Minuten später wurden sie vom Sternschutz kassiert. Seine Kumpels und er wurden böse zusammengeschlagen, wobei der Sternschutz sich vor allem auf die Orks in Ihrer Gruppe konzentrierten. Zwerge hatten einen etwas besseren Stand beim Sternschutz und deshalb kam er mit ein paar Hieben und Tritten davon. Während er in Handschellen auf dem Boden lag und in den Schmerzen badete,hatte er ein Bild gesehen das ihm nicht mehr aus dem Kopf ging.

Später hatte er herausgefunden wer diesen Bild gemalt hatte. Seitdem nannte er sich überall Picasso. Der Name klang einfach besser als Hannes Häberle.

Picasso war als Reinigungskraft bei der Erbe Elektromedizin GmbH angestellt. Er war stolz darauf, das er es aus den Stuttgarter Slums herausgeschafft hatte und eine SIN besaß. Er hatte sich nach den Ding in der Galerie aus allem herausgehalten: keine Gangs, keine illegalen Sachen irgendeiner Art. Das war schwer gewesen, alle seine damaligen Freunde waren früher oder später entweder in eine Gang eingetreten oder andersweitig kriminell geworden. Picasso nicht. Er hielt sich mit anderen Jobs über Wasser, hatte in einer Kneipe, während der einen Stunde die geschlossen waren geputzt, hatte als Zeitungsausträger in einem der besseren Viertel gearbeitet. Seit 2 Jahren war er nun als putze bei Erbe. Das war der beste Job den er je hatte. Er bekam eine SIN und konnte sich eine kleine Wohnung in einem Viertel im Stuttgarter Süden leisten, wo man nicht direkt um seine Wertsachen erleichtert wurde sobald man einen Schritt auf die Straße machte. Er verdiente sogar genug um sich alle paar Wochen einen Besuch bei Sandy, einer netten kleinen Elfe, zu leisten. Alles in allem war er zufrieden mit sich und seinem Leben.

Picasso betrat das Gebäude durch den Hintereingang und begrüßte den diensthabenenden SIcherheitsbeamten.

“Morgen, Karl, wie war die Nacht?”

“I hob a Bande vo Fetza dr Arsch versohlt”

“Was?” Picasso verstand Schwäbisch zwar aber Karl war eine Herausforderung.

“Ich habe eine Bande von Shadowrunnern den Hintern versohlt” Karl betonte jedes Wort übermäßig, sodass sein schwäbischer Akzent extra stark zur Geltung kam.

“Ah” antworte Picasso und lachte. Als ob der kleine, dicke Norm jemanden den Arsch versohlen könnte.

Er verabschiedete sich und machte sich auf den Weg zu dem Verschlag in dem seine Utensilien gelagert waren.

Der restliche Tag war so langweilig wie selten. Als Picasso um 8 Uhr abends Feierabend hatte machte er sich auf den Weg nach Hause. Er spielte mit dem Gedanken noch bei Sandy vorbei zu schauen und bog in eine Gasse ab, die ihn in die Nähe der Kneipe bringen sollte, wo Sandy ihre Dienste anbot. Wenn er Glück hatte war sie frei, ansonsten wollte er sich ein, zwei Bier genehmigen. Er stieg gerade über einen Müllhaufen, als er ein schwaches Stöhnen hörte. Er wollte sich davon machen, damit er nirgends reingezogen wurde. Picasso setze zu einem Sprint an, aber bevor er losrennen konnte, packte ihn eine Hand am Knöchel. Er fiel der länge nach auf die Nase. Picasso schaute an sich herunter und sah das hässlichste Orkgesicht das er je gesehen hatte. Der Ork hatte verchromte Hauer und trug eine verspiegelte Brille.

Er blutete aus ziemlich fiesen Platzwunden am Kopf.

“Warte!” flüsterte der Ork. “Lass mich!” schrie Picasso. Doch die Hand war unnachgiebig an seinem Knöchel. Picasso holte aus und trat dem Ork ins Gesicht. Er spürte wie einer der Hauer abbrach, doch der Ork ließ nicht los. Die andere Hand des Orks kam vor. Piccasso sah das der Ork etwas in dieser Hand hielt. “Nimm!” hauchte der Ork. “ Nein” wehrte sich Picasso und versuchte dem Klammergriff um seinen Knöchel zu entkommen. “Nimm!” flehte der Ork. Etwas in seinem Blick ließ Picasso innehalten. “Drek” dachte er.

Zu dem Ork sagte er: “ Okay, aber lass bitte mein Bein los.”

Picasso spürte wie der Griff um seinen Knöchel lockerer wurde. Picasso sprang auf und rannte los.

Nach zwei Schritten blieb er stehen und drehte sich um.

Der Ork lag ausgestreckt da und rührte sich nicht mehr. Die Hand die das etwas gehalten hatte, lag ausgestreckt und ruhig da.

“Hey Chummer, alles gut bei Dir” rief Picasso. Er trat näher. Der Ork rührte sich immer noch nicht. Picasso ging noch näher heran. Jetzt sah er das nicht nur das Gesicht des Ork über aussah, auch der Rest war ziemlich ramponiert. Die Beine des Ork waren auf unnatürliche Weise verdreht und eine Blutlache hatte sich darunter gebildet. am Körper des riesigen Orks sah er viele Löcher in der Felcktarnjacke.

Picasso stieß den Ork mit dem Fuss an. Der Ork rührte sich nicht. Erleichtert seufzte Picasso. Der war tot. Als er sich umdrehen wollte hielt er inne. Der Blick des Orks ließ ihn nicht los, dieses Flehen in den Augen. Er wandte sich wieder dem Ork zu. Seine Augen blieben auf der Hand des Orks haften. Picasso bückte sich und atmete tief durch. Mit einem Ruck stieß er die Hand des Orks beiseite. Er griff sich schnell was der Ork in der Hand gehalten hatte und rannte.

Die Lust auf ein Bier und mehr war ihm gründlich vergangen.

Zurück in seiner Bude, einem Appartment der Kategorie 1 Zimmer, keine Küche, kein Bad, warf er das kleine Speichermodul auf den Tisch und holte sich ein Soy-Bier aus dem Kühlschrank.

Was sollte er jetzt tun?