In Stein gemeißelt #11

Ein paar Tage später fand ich Kazlane abends im Wohnbereich auf mich wartend. „Setz dich kurz zu mir. – Hast du heute etwas vor?“ „Nein bisher nicht.“ „Ich würde dir gerne etwas zeigen – und ich will mich für mein Verhalten entschuldigen. Im Grunde weiß ich auch nicht, warum ich so jedes Mal so schlechte Laune bekomme, wenn ich Ysma sehe. Eigentlich sollte ich froh sein, dass ich sie noch habe.“ Kazlane legte eine längere Pause ein und spielte unbewusst an den tiefen Rillen der groben Tischplatte. „Irgendwie gefällt mir auch nicht, was sie macht. Den ganzen Tag mit dieser Gruppe durch die Gegend ziehen. Die nutzen sie doch nur aus. Anfangs dachte ich, es ist eine gute Sache, dass sich so viele Gelehrte für ihre Situation interessieren. Je mehr Leute sich damit beschäftigen, desto eher wird vielleicht eine Lösung gefunden.“ „Ysma sieht das immer noch so.“ schob ich ein. „Wahrscheinlich hat sie auch Recht.“ Ärgerlich winkte Kazlane ab. „Du solltest sehen, wie sie sie durch die Gegend tragen. Immer und immer wieder bei den Reichen der Stadt zur Schau stellen. Nach ‚Unterstützung für die Forschung‘ zu bitten ‚für eine Chance den Fluch zu brechen‘ es kann ‚schließlich alle treffen‘- Pah – und dann nutzen sie ihre ‚Forschungsgelder‘ doch nur, um tagsüber auf dem Platz herum zu philosophieren, und abends in irgendwelchen Weinhäusern die Wirkung von Wein zu studieren. Einen Finsterling haben Sie bisher für meine Schwester getan. Yacha ist der Einzige, der wirklich nach einer Lösung sucht.“ Ich wusste nicht so recht, was ich tun sollte. Ich tätschelte ihr ein wenig den Arm. Es war das erste Mal, dass ich sie so verletzlich sah. „Du machst dir einfach auf deine Art Sorgen um sie.“ Ich war echt nicht gut im Umgang mit solchen Situationen. „Ysma scheint es dir ja auch nicht übel zu nehmen. – Vielleicht ist es ja sogar gut, eine Art Antrieb sich mit dir zu versöhnen.“ Fügte ich rasch hinzu. Ich musste gerade an die Szene mit der Ohrfeige zurückdenken. „Immerhin hat sie die Verwandlung aufhalten können.“ Ich verstummte wieder. Ich sollte weniger enthusiastisch sein, jetzt wo Kazlane scheinbar endlich bereit war mit mir zu sprechen. Meine unbedachten Worte schienen zumindest ihren Zweck nicht völlig zu verfehlen. Dann schüttelte sie wieder den Kopf. „Ich glaube nicht an die Geschichte mit dem Antrieb. Götter, Dämonen, das ist doch alles Schwachsinn. Yacha hat das auch mal gesagt. Ich glaube sie hat damals durch ihr Aufwachen irgendwen gestört, der sie gerade schön zur Statue machen wollte. Yacha hatte schon die richtige Wasserader getroffen, als er vorgeschlagen hat sie nicht mehr allein zu lassen.“ Sie seufzte. „Es ist jetzt schon einige Jahre her. Ich habe mich damals rausgehalten. Hab‘ mich der nächstbesten Handelsgesellschaft angeschlossen. Einfach raus, aus dieser verfluchten Stadt. Ich habe die längsten Aufträge angenommen, die ich finden konnte. Zwei, drei Saisonen am Stück weg. Keinen Kontakt zur Stadt. Irgendwie hat es sich dann auch nicht richtig angefühlt, wieder zurückzukommen und wieder damit konfrontiert zu sein. Ich war einfach zu lange weg.“ Sie begann wieder gedankenverloren vor sich zu starren. Dabei lehnte sie sich nach hinten und mit ihrem Kopf an meine Schulter. Da ich sowieso nicht wusste, was ich tun sollte, tat ich einfach gar nichts und blieb nur still neben ihr sitzen. Ich muss zugeben, das Gefühl war auch nicht gerade unangenehm.

Nach einer Weile setzte Kazlane sich auf, griff meine Hand und erhob sich. Sie zog mich hinter sich her. „Komm, ich wollte dir noch etwas zeigen.“

Wir wickelten uns Tücher um Mund und Nase und befestigten unsere Kapuzen. Jetzt wo sich die Sandstürme dem Ende zuneigten, kamen sie aus dem Zentrum der Wüste auch näher an die Stadt heran, bevor sie sich in wenigen Tagen in den Gebirgsketten ihre Kraft verlieren würden. Die hohen Mauern und die Steilwände hielten das meiste davon von der Stadt fern. Trotzdem kam gerade gegen Abend ein starker Wind auf, der den allgegenwärtigen Sand und Staub auch in der Stadt aufwirbelte.

Kazlane hatte wieder meine Hand genommen und führte mich durch die Stadt. Wir gingen auf den Rand der Stadt zu. Wohnhäuser wichen kleinen Tierzuchten und anderen Handwerksgebäuden. Hier, geschützt vor der direkten Sonne, wuchsen ein paar Büsche. Wie riesige haarige Kugeln schmiegten Sie sich graugrün zwischen die Felsen. Die widerstandsfähige Pflanze war Nahrungsgrundlage für die Ziegen, die vor allem hier gehalten wurden. Teilweise quetschten wir uns zwischen zwei Häusern auf nicht offiziellen Wegen durch. So näherten wir uns langsam den Steilwänden. „Wohin gehen wir.“ „Zu dieser Steinwand hier. Ich möchte dir etwas zeigen.“ Verwundert folgte ich ihr weiter. Ich sah nicht viel von ihrem Gesicht, aber ihre Stimme klang ernst.

Die Schatten der Häuser wurden schon merklich länger. Allzu lange würden wir kein Licht mehr haben. Gerade so weit draußen am Rande der Stadt, waren keine der Weglichter, die die belebteren Straßen er Stadt beleuchteten installiert. Nur aus dem ein oder anderem Haus würde etwas Licht nach außen dringen. Der aufgewirbelte Sand in den Straßen machte die Sicht nicht gerade besser. Wir traten hinter der letzten Häuserreihe hervor. Direkt an die Steilwand waren mehrere Ziegenställe gelehnt. Ein paar der Ziegen zogen sich gemächlich ein paar Halme aus den Ballen, die in ihrer Umzäunung lagen.

Zum ersten Mal, seit ich in der Stadt war, kam ich den Steilwänden so nah. Ich konnte förmlich das schiere Gewicht der Felsmassen, die sich vor mir auftürmten, spüren. „Beeindruckend.“

Ich blickte nach oben. In etwa dreißig Metern Höhe war die erste Reihe Statuen zu sehen. Jede Statue beanspruchte eine Einkerbung im Felsen für sich. Leicht in die Wand versetzt, waren die Statuen hier auch vor den Sandstürmen gut geschützt. „Unvorstellbar, dass all das Menschen sind.“ Ich hatte mich in der Zeit in der Stadt, nicht zuletzt wegen Yacha und Ysma, viel mit den Statuen befasst. Irgendwie waren Sie im Laufe der Zeit aber ferner gerückt. Ein Studienobjekt nichts weiter.

Abgesehen von Ysma natürlich. Jeder Blick auf ihre Beine erinnerte mich schmerzlichst daran, dass niemand auch nur einen Schritt näher an der Lösung des Rätsels um die Statuen war. Trotzdem nach wie vor surreal. Seit unserer Ankunft in der Stadt hatte ich keine Statue mehr aus der Nähe gesehen.

Auch jetzt war ein wirkliches Betrachten aus der Nähe nur begrenzt möglich. Der Sand, der nun im stärker aufziehenden Wind immer weiter aufgewirbelt wurde, erschwerte uns die Sicht weiter.

„Wer hat nur all diese Plätze gegraben. Wie sind die Statuen da nur hochgekommen.“ Natürlich wusste ich die Antwort: Die Geschichtspfleger. Eine wirkliche Antwort war es aber nicht. Über die Geschichtspfleger war genauso viel bekannt wie über den Ursprung der Statuen. Nichts. Rein gar nichts.

Kazlane ging nicht weiter auf meine Aussage ein. „Ein Stück noch hier lang. Wir sind bald da.“ Gemeinsam bogen wir an der Steilwand links ab und folgten ihr ein Stück. Hier waren keine Gebäude mehr direkt an der Wand errichtet. Stattdessen reichten die Reihen an Statuen bis ungefähr einen Meter über dem Boden. Die Vertiefungen für die Skulpturen hier sahen älter aus, vor längerer Zeit schon in den Stein gehauen. Die Werkzeugspuren am Eingang der einzelnen Zellen waren durch den Sand und den Wind schon weichgerieben. Ich schätzte, dass die Statuen hier schon mindestens zehn Jahre standen. Wenn nicht länger. Zumindest von unserer rechten Seite jetzt ein wenig vor dem Wind in den darin herumfliegenden Sandkörnern geschützt, setzten wir unseren Weg weiter fort.

Ich fühlte mich stark an meine Alpträume erinnert, die mich jede Nacht quälten. Die Reihen regloser Gestalten, die, mitten im Leben erstarrt, vollständig zu Marmor geworden, nun als Stille Wächter auf das Geschehen der Stadt blickten. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in meiner Brust breit. Ich blieb stehen. Das Atmen fiel mir schwer. Der Wind schien mir die Luft direkt von den Lippen zu reißen. Am Rande meines Blickfelds nahm ich verdächtig menschliche Schemen aus. Mir wurde schwindlig.

Eine Hand packte mich an der Schulter. „Alles ok bei dir?“ Ich atmete ein. Das Gefühl verschwand ebenso schnell wie es gekommen war. „Schon ok, etwas erschöpft.“ Inzwischen war es immer dunkler geworden. Ich blickte zu den aufgereihten Statuen. Manche saßen, andere wirkten eher als würden sie liegen – an der Wand. Wieder andere mitten in der Bewegung. Sie alle schienen mit ihren leeren Augen durch die zunehmende Dunkelheit auf uns herabzublicken. Ich schüttelte den Gedanken ab. „Alles ok,“ sagte ich erneut, „Ist es noch weit? Es ist unheimlich hier.“

Kazlane schüttelte den Kopf. „Nur noch ein kurzes Stück weiter. Wir haben es gleich.“