In Stein gemeißelt #13

Kazlane war ein paar Schritte voraus gegangen. Jetzt blieb sie stehen und wartete darauf, dass ich zu ihr aufschloss. „Weißt du noch, was ich dir auf der Schifffahrt erzählt habe?“ fragte sie. Ich zögerte.

Eigentlich dachte ich gerne an die Überfahrt zurück. Ich hatte Kazlane in der Nähe von Foeltahl in einer größeren Hafenstadt getroffen. Damals war ich gerade einmal ein paar Monate unterwegs und gerade einmal ein paar Tagesritte von Foeltahl entfernt. Auf großen Abenteuern. Meistens bei dem Versuch die Schönen und Reichen davon zu überzeugen mich auf ihr Grundstück zu lassen. Ihnen am besten auch gleich das Versprechen abzunehmen, mir eines meiner Werke abzukaufen. Eines, das ich noch herstellen musste, versteht sich.

Kazlane hatte eines dieser Gespräche am Tresen einer überfüllten Hafenschänke mitbekommen. Vermutlich war es das Starkbier, dass sie zum Prahlen verleitet hat. Großartiges könnte man in ihrer Heimatstadt bestaunen. Unglaubliches. Sie hatte nicht verraten wollen was. Ich war irgendwie fasziniert von dem Gedanken, besonders für Bildhauer wäre es bestimmt ein Erlebnis. Warum sollte ich nicht in die Ferne reisen? Inspiration fernab finden, ein richtiges Abenteuer. Raus aus der vermieften Umgebung von Foeltahl, wo niemand meine Kunst zu schätzen wusste. Unglaubliches für einen Bildhauer. Starkbier gesellt sich gerne zu Starkbier: „Dann werde ich mit dir reisen. Deine Heimatstadt scheint genau das richtige Ziel für mich!“ „Soso, du drängst dich also einfach fremden Frauen als Begleitung auf.“ „Erst prahlen und dann einen Rückzieher machen. Vermutlich ist es einfach nur ein Stück Fels im Meer. Nichts weiter als ein unbedeutender Ort Langeweile. Auf den meisten Karten nicht mal eingezeichnet.“ Aus dem gegenseitigen Frotzeln wurden ein paar Bier mehr und die alkoholinduzierte Philosophie nahm ihren Lauf. Am Ende des Abends war ein handfester Plan zu gemeinsamen Weiterreise dabei herausgekommen. Wir zogen noch ein paar Städte weiter, bis wir schließlich ein Schiff, das nach Varmt Gunung segelt, fanden und damit in ihre Heimatstadt aufbrachen. Schiffsreisen sind unglaublich öde. Gerade wenn die eine Küste am Horizont verschwunden ist und die des Ziels noch nicht im Blick wird das Auge schnell müde. Nichts als Wasser. Ewig wogende Wellen. Nicht, dass ich mir aufgewühltes Wasser, Seemonster oder Piraten gewünscht hätte, ruhige See ist allemal besser, aber die Beschäftigung auf einem Schiff ist doch sehr dürftig. Umso froher war ich über meine Begleitung. Kazlane hatte, wenn sie in der Stimmung war zu erzählen, viele spannende Geschichten von ihren Reisen für die Handelsgesellschaft bereit. Bisweilen verbrachten wir die Abende damit wie Kinder auf dem Deck zu liegen und den Sternenhimmel zu betrachten. In solchen Nächten erzählte Kazlane auch ab und an mehr von sich selbst.

„Meinst du, was du mir über die Stadt erzählt hast? Das hatte ich mir definitiv anders vorgestellt.“ „Nein, was ich über meine Eltern erzählt habe.“ „Dass sie an einer Krankheit gestorben sind.“ „Naja, so ganz stimmt das nicht.“ Sie deutete vor sich. Zwei Statuen standen in der untersten Reihe. „Das…“ Sie schluckte. „Sind meine Eltern. Nicht gestorben. Als ich fünfzehn war, sind beide gleichzeitig.“ Ihre belegte Stimme brach ab.

„Das, das tut mir leid.“ Ich trat auf sie zu und nahm sie in den Arm. Sie grub ihr Gesicht in meine Schulter, und begann leise zu beben. Ich hielt sie einfach weiter fest. Ich wusste nicht, wie es war ein Elternteil zu verlieren. Geschweige denn beide. „Wir wussten nicht, was wir tun sollten, damals. Ich war erst fünfzehn, Ysma sogar noch ein Jahr jünger.“ Sie schluchzte wieder. Offensichtlich hatte sie die Erinnerung an ihre Eltern und die schwere Zeit lange verdrängt. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie hart es für zwei junge Mädchen sein musste auf einen Schlag beide Eltern zu verlieren.

Früher war sowas bestimmt üblicher gewesen. Zu Zeiten der Kontinentalkriege hatten die Nationen hunderttausende Waisenkinder zurückgelassen. Aber diese Zeiten waren lange vorbei. Meine Großeltern dürften die Zeit noch miterlebt haben. Ich nicht, wir lebten in kultivierten, zivilisierten Zeiten. Wir haben aus der Vergangenheit gelernt. Der Länderrat hatte die Königreiche abgelöst. Lediglich am Rande des Bundes gab es hier und da kleinere Konflikte, aber nichts, dass bis nach Foeltahl schwappen würde. Auch Krankheiten und Seuchen legten keine ganzen Städte mehr lahm. Ich kam mir so machtlos vor. Ysma war das lebende Beispiel wie schnell es gehen konnte. Kazlane demonstrierte mir gerade aus erster Hand, wie traumatisch der Fluch für die Einwohner war. Sowas passte definitiv nicht in unsere Zeit. Wie konnten so viele Gelehrte, Ärzte, kluge Köpfe keine Lösung für sowas altertümliches, etwas, dass eigentlich in Gruselgeschichten für Kinder gehörte, finden? So unfair, so gnadenlos. Kazlanes Schluchzen war weniger und leiser geworden. Sanft löste sie sich wieder aus meinen Armen und schaute mich mit geröteten Augen an.