In Stein gemeißelt #8

Unruhig wälzte ich mich im Schlaf hin und her. Ich huschte im Traum schnell und geschickt über die Dächer der Stadt wie eine Ratte. Mein Ziel schien eine der Steilwände zu sein. Die Steilwände bogen sich und bald lief ich im Kreis an der Steilwand entlang, die mich immer weiter einkesselte. Sauber aufgereihte Statuen drehten mit ihr Köpfe zu, ihre leblosen Augen starrten mich an. Ich riss meinen Blick los und richtete ihn nach vorne. In der Ferne schwebte etwas in der Luft. Ich rannte so schnell mich meine kleinen Beine trugen. ‚Was genau war ich eigentlich?‘ Ich erkannte, was da in der Luft schwebte. Ein abgebrochener Arm aus Stein winkte mir zu. Holte aus. Schlug zu.

Schweiß gebadet schreckte ich auf. Mein Hemd klebte an meinem Rücken. Meine Beine…ich konnte meine Beine nicht spüren. Ein Schrei blieb mir röchelnd in der Kehle stecken.

Ich begann zu husten, schlug die Augen auf und war schlagartig wach. Ich zwickte mich in den Oberschenkel. Aua. Diesmal war ich wirklich wach. Vorsichtig versuchte ich mit den Zehen zu wackeln. Erleichtert schlug ich das Laken beiseite und bewegte meine Füße. Bleich, wie ich nun mal war, aber kein Marmor. Mit einem befreienden Seufzen und leisem Kichern, sank ich zurück ins Kissen. Ich nahm einen Schluck Wasser, drehte mich auf die Seite und schlief wieder ein.

Der Rest der Nacht war glücklicherweise traumlos vorbei, allerdings fühlte ich mich trotzdem wie gerädert, als ich im Morgengrauen erwachte.

„Guten Morgen.“ Kazlane musste irgendwann wiedergekommen sein. „Du siehst grauenhaft aus.“  „Danke“ murmelte ich, während ich mir einen Tee, der passenderweise einfach nur Wachwurzel genannt wurde, einschenkte. „Ich habe ziemlich mies geschlafen.“ Ich verzog kurz das Gesicht. Wachwurzel war ziemlich bitter und etwas gewöhnungsbedürftig. „Ich hätte es fast nicht erraten. Dabei hast du gestern anscheinend schon geschlafen als ich wiederkam.“ „Ich bin es einfach nicht mehr gewohnt zu arbeiten.“ Langsam kehrten meine Lebensgeister etwas zurück. „Wo warst du eigentlich so lange?“ „Ich habe meine Schwester getroffen. Ich sehe sie nicht oft. Ich bin ja selbst meist nicht lange in der Stadt. Außerdem verstehen wir uns auch nie lange gut.“ Sie zuckte mit den Achseln. „Aber sie ist immerhin die einzige Familie, die mir noch bleibt.“ Kazlane hatte mir irgendwann auf unserer langen gemeinsamen Überfahrt anvertraut, dass ihre Eltern schon als sie noch recht jung war, gestorben waren. „Von deiner Schwester hast du bisher noch nichts erzählt.“ „Wie gesagt, wir verstehen uns meist nicht lange gut.“ Wohl bei dem Gedanken an ihren gestrigen Besuch verfinsterte sich ihr Blick kurz. Ich hielt es für angebracht besser schweigend auf die volle Wirkung der Wachwurzel zu warten.

Die nächsten Tage und Wochen vergingen ohne großartige Änderung in meinem neuen Tagesablauf. Ich ging meist recht früh zur Gilde und arbeitete neben meinen drei Kollegen an den vielen Sandechsen, die in unterschiedlichsten Haltungen, aber alle, aufs Strengste von Koochni kontrolliert, in exakt gleicher Größe, bald ein ausladendes Balkongeländer tragen sollten.

Ich begann gerne früh am Morgen, wenn die Luft in der Stadt noch kühler war, und die Sonne noch nicht direkt auf den Hof schien. In den Pausen machte ich oft Skizzen von den Apparaten, die hier die Arbeit erleichterten. Sicher, in meiner Heimat gab es auch diverse Flaschenzüge und Hebeapparaturen, aber zum technischen Fortschritt, den die Bildhauer hier gemacht hatten, war das kein Vergleich. Ich beobachtete auch, dass die Bildhauer hier praktischer veranlagt sind. Bald stellte ich kleine Unterschiede, etwa bei der Art des Skizzierens auf dem Stein fest. Ich hatte das Gefühl, meine Kollegen hier arbeiteten wesentlich pragmatischer, berechneter als die in meiner Heimat, in der vor allem nach Intuition und Gefühl gearbeitet wird. Auch bei den Werkzeugen dafür gab es Unterschiede. Koochni brachte mir den Umgang mit einem Werkzeug namens Schlangenzahn bei. Ein Meißel mit zwei Spitzen, das die Bildhauer hier wohl statt des Prellers nutzen, mit dem wir in meiner Heimat die Grobarbeit erledigen und viel Material entfernen. Andere Bereiche, beispielsweise Schlagtechniken waren erstaunlich identisch.

Meine Nachmittage und Abende verbrachte ich oft auf dem Platz der Gelehrten oder in Kazlanes Haus. Kazlane, Yacha und Ysma brachten mir mehr von ihrer Landessprache bei. Kazlane war eine ungeduldige Lehrerin, Ysma wollte viel lieber in meiner Sprache sprechen. Yacha war dafür ein geborener Lehrer. Langsam wurde ich besser und konnte auch mit meinen Kollegen detaillierter über die Maschinen und Techniken sprechen.

Meine Bekanntschaft mit Ysma hielt ich vor Kazlane geheim. Ich hatte das Gefühl, sie wolle sowieso nicht über die Statuen sprechen, und Ysma war zumindest zum Teil eine. Wir hatten aber sowieso andere Gesprächsthemen, die auch für Kazlane interessant war.

Es war ein angenehmes, wenn auch anstrengendes Leben. Wenn da nicht die Alpträume gewesen wären. Seit ich das erste Mal schweißgebadet aufgewacht war, hatte ich Nacht für Nacht schlechte Träume von Statuen, die mich in den Felsen zogen, oder in denen ich selbst zu einer Statue wurde. Pandai sei gepriesen für die Entdeckung der Wachwurzel.