In Stein gemeißelt #9

„In ein paar Wochen werden die Sandstürme nachlassen. Dann werden kurze Zeit später die ersten Karawanen losziehen. Dann heißt es auch für mich wieder ab an die Arbeit.“ Kazlane arbeitete als Kundschafter für eine der vielen Handelsgesellschaften in Guvastap. Obwohl, oder wahrscheinlich eher, gerade weil sie so abgelegen war, besaß Kazlanes Heimatstadt eine riesige Zahl solcher Gesellschaften. Meist sandten sie Kundschafter aus, um besonders lohnende Handelsziele auszumachen. So konnten die Karawanen vor den Sandstürmen zurückkehren. „Willst du wieder zurück nach Foeltahl? Ich gehe stark davon aus, dass sie mich auch wieder in die Richtung schicken. Dann könnten wir wieder gemeinsam reisen, das würde ich sehr begrüßen.“

Ich hatte Kazlane nichts von meinen Alpträumen erzählt, es hatte mit Statuen zu tun und ich wollte sie nicht beunruhigen. Sicherlich konnte sie sehen, wie mir die mangelnde Erholung zusehends zusetzte. „Das fände ich auch schön. Ich muss nur Koochni schonend beibringen, dass ich keinen weiteren Auftrag mehr annehmen kann. Mit den Echsen sind wir glücklicherweise bald durch. Ich glaube ich habe jetzt ein Echsenstatuen Trauma.“ Kazlane ignorierte meinen schlechten Witz. „Dann sollten wir die nächsten Tage zur Gesellschaft gehen und dich mit für die Karawane registrieren. Wenn wir gemeinsam mit den Händlern losziehen, ist der Weg durch die Wüste wesentlich sicherer und bequemer.“ „Können wir gerne machen. Ich müsste auf dem Rückweg noch diese Schriftrollen hier wieder zurück zum Platz der Gelehrten bringen. Yacha hat mir ausnahmsweise erlaubt die Rollen mitzunehmen.“

Die Aussicht, wieder mit Kazlane zu reisen und nicht allein oder in der Gesellschaft mir völlig Unbekannter unterwegs zu sein, stimmten mich fröhlich. So brachen wir am nächsten Tag nach meiner Arbeit gemeinsam auf. Bisher hatte ich mich nur in einem kleinen Teil der Stadt aufgehalten. Der Weg zu Kazlanes Arbeitgeber war etwas länger. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie riesig die Stadt eigentlich war. Das Tal, in dem die Stadt errichtet war, hatte nur den einen Zugang, den wir auch bei unserer Ankunft genommen hatten. Sollte jemals jemand dumm genug sein, die Stadt anzugreifen, musste nur die Hängebrücke zerstört werden. Links und rechts der Stadt erhoben sich die Steilwände. Hunderte Meter hoch und praktisch unpassierbar. Nur am Ende des Tals erhob sich die Stadt in die Lüfte. Hier begann der Fuß des Berges, der das Tal hier verschloss. Aus der Ferne wirkten selbst die riesigen Prunkbauten, die sich dort befanden, winzig klein. Vor einem davon würden bald die übertrieben vielen Sandechsen, die ich mit der Bildhauergilde gerade fertigte, einen Balkon zieren. Was für eine Aussicht das sein musste. Vielleicht würde ich auch beim Aufstellen und Anbringen der Skulpturen mithelfen. Koochni hatte das in angedeutet.

Wir passierten einige Marktplätze, die aber unter der Kontrolle einer anderen Handelsgesellschaft standen. Schließlich deutete Kazlane auf die weit geöffneten Flügeltüren eines Gebäudes. „Wir sind da. Da drüben müssen wir uns registrieren. Halte am besten dein Siegel bereit.“

„Herzlich willkommen bei der 1000 Waren Hand…. Ach Hallo Kazlane.“ Lautete die unvollständige Begrüßung hinter einem Empfangstresen. „Hi. Ich und mein Freund hier“ – sie deutete in meine Richtung – „wollten uns für die Karawane nach Foeltahl registrieren. Hier mein Lohnschein und hier sein Gildensiegel.“ „Einen kleinen Moment, das haben wir gleich.“ Er verschwand in einem Raum gleich hinter seinem Tresen und kehrte mit einem dicken Wälzer zurück. „Karawane 42, Foeltahl, 2 Plätze, und hier bitte schön. Die Karawane ist, vorausgesetzt die Wetterdeuter haben recht, für die Abreise in zwanzig Tagen eingeplant.“ „Schaffst du das, mit deinem Auftrag?“ „Sollte drin sein. Ich denke, dass wir in etwa acht Tagen damit durch sind.“ Ein paar verpflichtende Informationen später war alles Organisatorische geklärt. Wir würden mit der Karawane losziehen und mit ihnen bis fast ganz in meine Heimatstadt reisen. Kazlane wollte dann in den Westen des Kontinents weiterreisen. Was ich dann vorhatte, würde ich mir auf der Reise überlegen. Meine Stimmung jedenfalls besserte sich ungemein. Wenn ich hier wegkäme, würden bestimmt auch die Alpträume bald aufhören.

Auf den Rückweg bogen wir in Richtung Platz der Gelehrten ab. Schnell machte ich Yacha ausfindig. „Ich habe die Rollen hier, die ich mir ausgeliehen habe.“ „Willst du noch ein paar andere mitnehmen?“ „Nein danke, ich glaube ich werde nicht mehr so viel zum Lesen kommen. Wir haben uns gerade für eine Karawane zurück registriert. Zurück nach Foeltahl.“ „Das ist schade. Ich werde unsere Gespräche sehr vermissen. Du bist ein guter Schüler, neugierig, wissensdurstig.“ „Ich bin mir sicher, was ich hier gelernt habe, wird mir auch in Foeltahl helfen. Vor allem die Technik, die ihr hier im Einsatz habt.“ Ich pfiff leise, und zog mein Notizbuch aus der Tasche. Ich hatte die Rollen mit Skizzen und vor allem die Mitschriften über Aufbau und Funktion der ganzen Maschinen in Koochnis Werkshof geglättet und von einem Buchbinder zu einem Notizbuch zusammenfügen lassen. „Saubere Arbeit.“ Yacha reichte mir das Buch zurück. Er deutete hinter mich „dort kommt noch jemand, der die Gespräche mit dir vermissen wird.“

Ich drehte mich um. Eine Menschenansammlung war gerade angekommen. Gerade wurde eine junge Frau in einem Stuhl auf den Platz getragen. Wie immer in Begleitung einer großen Gruppe Gelehrter. Sie erkannte uns und deutete in unsere Richtung.

„Ysma!“ sagte ich freudig.

„Ysma!“ grummelte Kazlane düster.

„Schwester!“ rief Ysma freudestrahlend. „und Chaye!“

Verdutzt blickte ich zu Kazlane. „Schwester?“ „Ja, Ysma ist meine Schwester.“ Schlagartig wurde mir auch klar, warum Ysma mir jedes Mal so bekannt vorkam. Jetzt wo ich beide zusammen sah, war die Verwandtschaft unverkennbar. Noch etwas wurde mir bewusst: Warum Kazlane so ungern über Statuen sprach. Wer wurde schon gerne daran erinnert, dass die eigene Schwester jederzeit vollständig zu Stein erstarren konnte. Ysma ließ sich von Kazlanes grimmiger Miene nicht abhalten. Ihre Träger stellten Ysmas Stuhl vorsichtig auf dem Boden bei uns ab. „Es hat mich jedenfalls gefreut, dass du dich dazu durchringen konntest mich zu besuchen. Auch wenn du mit all dem hier“ – sie deutete wage um sich – „nicht einverstanden bist.“ Kazlane schwieg.

Sichtlich gequält versuchte Yacha das Thema zu wechseln. „Chaye und Kazlane werden uns schon bald wieder verlassen.“ Ysmas Lächeln erstarrte. „Wieso das denn? Bin ich so schlimm?“ fügte sie grinsend in Kazlanes Richtung hinzu. Außer einem bösen Blick erhielt sie aber keine Antwort. Ysma versuchte es bei mir: „Warum geht ihr denn schon wieder? Und wohin?“ „Nun,“ begann ich entschuldigend und suchte nach den richtigen Worten: „Ich bin ursprünglich hergekommen, weil ich meine Inspiration verloren hatte. Ich habe von den …. den Statuen gehört und wollte es unbedingt mit eigenen Augen sehen. Jetzt wo ich weiß was dahinter steckt, und … nachdem ich so viele neue Eindrücke, so viele Skizzen und neue Techniken gesammelt habe, wird es Zeit in meine Heimat zurückzukehren. Und nachdem die Sandstürme bald vorbei sind, werden wir uns einfach einer Karawane anschließen.“ Yacha und Ysma einfach so zu verlassen quälte mich schon ein wenig. In der doch eher kurzen Zeit, die ich mit den beiden verbracht hatte, sind wir doch Freunde geworden. Ysma blickte ein wenig traurig. „Das ist wirklich schade. Du könntest doch noch eine Saison länger bleiben. Mehr sammeln, mehr lernen, …“ Ysma brach ab, als Yacha ihr sanft den Arm auf die Schulte legte. „Chaye wird sich das sicherlich gut überlegt haben.“ „Ich werde euch sicherlich auch vermissen. Aber vielleicht treibt es mich ja mal wieder in diese Stadt. Und in meiner Heimat vermisst man mich vielleicht ebenfalls bereits.“ Der letzte Teil war gelogen. Ich war in Foeltahl, geschweige denn darüber hinaus, kaum bekannt. Ein mittelmäßiger Bildhauer mit wenigen Freunden und noch weniger Sponsoren und Käufern. Wenn ich Glück hatte, würde es mir aber gelingen, das mit dem gesammelten Wissen hier zu ändern. Es ging schließlich nicht jeden Tag ein Bildhauer auf Weltreise, noch seltener kehrte jemand zurück. Ysma streckte ihre Arme aus und winkte mich heran. Ungelenk ließ ich mich von ihr umarmen. Die viel offenere Art im Umgang miteinander hier war mich nach wie vor etwas befremdlich. „Ich hoffe jedenfalls du kommst noch ein paar Mal hier vorbei, bevor du endgültig wieder aufbrichst. Und du könntest mich ruhig auch noch mal besuchen, Kaz.“ Kazlane nickte bei dieser letzten, an sie gerichteten Aussage nur kurz und drehte sich dann um. „Komm lass uns zurück gehen, wenn du hier fertig bist.“ Entschuldigend lächelte ich Yacha und Ysma zu. „Macht’s gut, ich werde in den nächsten Tagen auf alle Fälle noch hierherkommen.“

Schweigend folgte ich Kazlane vom Platz zurück zu ihrem Haus. Inzwischen wusste ich, dass sie sowieso nicht darüber reden würde, bis sie es wollte. Ich versuchte gar nicht erst sie zu überreden. Stattdessen schwallte ich sie über irgendwelche Pläne zurück in Foeltahl zu. Kazlane beteiligte sich nur spärlich am Gespräch und ging früh zu Bett.