Statuen #2

Nachdem ich Kazlane eine Weile schweigend gefolgt war, konnte ich die vielen Fragen, die sich in meinem Kopf überschlugen nicht mehr zurückhalten.

“Warum sind wir die Einzigen hier?” brach ich die unnatürliche Stille. Die Sonne stand nach wie vor hoch am Himmel und durch die Hitze flimmerte die Luft, was den Anblick der verlassenen Stadt und die Statuen überall noch bizarrer machte.

“Dieser Teil ist die alte Stadt, sie ist seit Jahrzehnten verlassen” gab Kazlene im gleichen, fast flüsternden Tonfall zurück, mit dem ich die Frage gestellt hatte. In normaler Lautstärke zu reden hätte mich zu viel Mut gekostet. Nach kurzem Zögern fuhr sie fort: “Die Bewohner hier haben diesen Teil verlassen, als immer mehr Menschen zu Statuen wurden.” Sie deutete auf eines der Häuser zu unserer Rechten. “Wenn du möchtest kannst du dich umsehen.”

Erstaunt blieb ich stehen. “In… die Häuser? Einfach so rein gehen?” Kazlane nickte zu einer der Statuen, die vor dem Haus auf einer Bank saß. Ein sehr alter Mann, dessen gesamte Haarpracht sich auf seinem Gesicht konzentrierte. “Er wird es vermutlich nicht mitbekommen.” Der Zynismus und die Sicherheit in ihrer Aussage wirkten gespielt. Ihre Stimme klang merkwürdig belegt. Ich sah den alten Mann eindringlich an und meine Neugier überwand schließlich meine Angst. Ich ging ein paar Schritte näher und betrachtete die leblose Gestalt genauer. Er musste wirklich sehr alt gewesen sein. Seine Schultern hingen nach hinten, sein Rücken war gekrümmt und der Kopf hing leicht nach unten. Er hatte sich mit den Händen auf den Oberschenkeln abgestützt. Fast sah es so aus, als ob er im Begriff gewesen war aufzustehen. Es fiel mir wirklich nicht schwer zu glauben, dass es sich um echte Menschen handelte – nie zuvor war mir eine so detaillierte Statue begegnet. Auf der Suche nach meiner verlorenen Inspiration hatte ich so gut wie jedes Meisterwerk vergangener und aktueller Bildhauer auf meinem Kontinent besucht, bevor ich hierher aufgebrochen war.

Unsicher wandte ich mich von der uralten Gestalt ab und drehte mich zur Tür des Wohnhauses. Die Hauswand und die Tür wirkten gut gepflegt. Ich hatte ausgebleichtes, staubtrockenes Holz und verrostete Beschläge erwartet.

“Es sieht so aus als wäre hier vor kurzem jemand gewesen” raunte ich über meine Schulter. Kazlane war inzwischen näher gekommen. Die Tür sah fast frisch gestrichen und die Scharniere gut geölt aus. “Das ist die Arbeit der Geschichtspfleger.” Ihre Erklärung warf mehr Fragen auf, als dass sie Antworten gab. “Eine Gruppe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Altstadt so zu erhalten, wie sie ist.” ergänzte sie als sie mein fragendes Gesicht sah. “Falls die Statuen wirklich noch leben.”

Ich wandte mich wieder der Tür zu. Inzwischen mehr ehrfürchtig als ängstlich, streckte ich langsam meine Hand aus, zog am Türriegel und drückte die Tür langsam nach innen auf.