Statuen #5

“Guten Morgen” begrüßte Kazlane mich, als ich nach einer äußerst erholsamen Nacht wieder nach unten kam.

“ Hier, nimm dir gerne was zu essen.” Ich setze mich und begann zu essen.

“Was hast du nun vor?” Theoretisch wäre unsere gemeinsame Reise nun vorbei. “Du hast mir nicht zu viel versprochen, als du bei unserem Aufbruch in Foeltahl von Erstaunlichem in deiner Heimatstadt erzählt hast. Ich werde erstmal hier bleiben und mich umsehen. Außerdem habe ich unterwegs so viele Skizzen gemacht, dass ich durchaus gerne arbeiten würde. Ich nehme an, in einer so handwerklich fortgeschrittenen Stadt gibt es sicherlich einige Bildhauer, vielleicht findet sich dort etwas zu tun.” “Du wärst erstaunt, wie rar künstlerische Bildhauer hier sind. – Sie sind wahrscheinlich nicht so erpicht auf Statuen könnte ich mir vorstellen.” “…und nicht zuletzt will ich herausfinden, was es mit dem verlorenen Antrieb, den Geschichtspflegern und diesem Fluch auf sich hat”, schloss ich die Liste meiner Vorhaben. “Über den Orden weiß ich selbst nicht viel.” “Den Orden?” “ Der Orden der Geschichtspfleger. Niemand weiß genau, wo sie herkommen, wer sie sind. Sie waren einfach…da.” Kazlanes Stimme driftete kurz, in ihre eigenen Gedanken versunken, ab.

Ich wartete. “Ich meine, sie haben eine Art Hauptquartier, weit oben in der Steilwand. Nicht wie ein Kloster oder sowas, sondern ich glaube sie wohnen da oben und lagern ihre Werkzeuge und so weiter. Zumindest wird das allgemein unter den Leuten hier angenommen. Aber niemand weiß, wer sie genau sind. Manche vermuten es sind normale Bürger der Stadt, die sich zu einer Art Geheimbund zusammen geschlossen haben. Andere sagen, es sind die ursprünglichen Bewohner dieses Tals. Ich glaube beides stimmt nicht – habe aber selbst auch keine Erklärung…”, sie versank wieder in Gedanken. “Es sind auch die Geschichtspfleger, die die Statuen in die Steilwände bringen. Aber gesehen hat das noch nie jemand. Die Leute sind einfach froh, dass sich irgendjemand drum kümmert.” “Und die Statuen? Wieso werden die Leute hier zu Stein? Kann mir das hier auch passieren?” Erschreckt nahm ich die Bedeutung meiner letzten Frage wahr. Instinktiv ballte ich beide Hände zu Faust und öffnete sie wieder. Gut bisher keine Veränderung spürbar. Ich blicke zu Kazlane und wie gestern in der alten Stadt, und wenn ich Fragen zu den Skulpturen stellte, wurde ihr Gesichtsausdruck härter. Offensichtlich war es ihr unangenehm darüber zu sprechen. “Es gibt in der Stadt einen Platz der Gelehrten. Vielleicht bekommst du da ein paar Antworten.” Immerhin hatte sie sich heute nicht komplett verschlossen. Ich war aber alles andere als beruhigt.

Mein erstes Ziel stand also fest. Mit einer Karte die Kazlane mir überlassen hatte bewaffnet machte ich mich auf den Weg. Während der Überfahrt von Foeltahl nach Varmt Gunung und der weiteren Reise bis Guvastap hatte sie mir manchmal ihre Sprache beigebracht. Es sollte zur Not reichen um nach dem Weg zu fragen.

Meine Sorge war allerdings völlig unbegründet, ein weiterer Vorteil vom häufigen Neubau war eine grandiose Stadtplanung. Kleine Symbole, die sich in Holzpfosten geschnitzt, an Kreuzungen faden, wiesen erstaunlich intuitiv den Weg.

Dem Symbol einer kleinen Feder und meiner Karte folgend, war ich schnell am Platz der Gelehrten angekommen. Ein runder Platz mit acht Zugängen, war zwischen den Wegen komplett von mehreren Reihen Regalen gesäumt in denen sich, durch Sonnensegel geschützt, unzählige Schriftrollen und Bücher sowie vereinzelte Steintafeln stapelten.

Auf dem Platz waren in Gruppen verstreut Sitzkissen und kleine Tische. Manche besetzt von Menschen in hitziger, zweifelsfrei akademischer Debatte, an anderen still und einzeln lesende Gelehrte und Anwärter auf diesen Titel.

Ich ging zu einem in leichter Robe gekleidetem Mann der gerade ein paar Schriftrollen in eines der Regale sortierte. In gebrochenen Sätzen stellte ich mich vor und fragte ob er jemanden kenne der meine Sprache spricht. “Jemand steht vor dir.” Antwortete er sichtlich amüsiert, mit schwerem Akzent aber fehlerfrei in meiner Sprache. “Was kann ich für dich tun?” “Ah, das erleichtert mir das Fragen stellen.” Ich deutete symbolisch nach schräg rechts oben. Die Steilwände waren von hier aus nicht zu sehen. “Ich wollte etwas zu den Statuen wissen. Und ich muss dringend rausfinden, ob mir das ebenfalls passieren kann. Also, dass ich zu Stein werde.” Er betrachtete mich mit weiterhin leicht amüsiertem Ausdruck und nickte dann bedächtig. “Besucher der Stadt sind in der Regel nicht von dem Fluch betroffen. Auch Leute die sich außerhalb der Stadt aufhalten scheinen sicher zu sein.” “Warum gehen dann nicht einfach alle wo anders hin?” Er lächelte weiter und deutete mit einladender Geste um sich. “Du kannst gerne versuchen die Einwohner zu überzeugen. Sicherlich, ein paar wirst du finden. Aber der Großteil ist wohl nicht so leicht bereit, die über Jahrzehnte aufgebauten -sogar mehrmals aufgebauten, wenn man es genau nimmt – Annehmlichkeiten gegen die Gefahren der Wüste zu tauschen. Nur für eine Reise in eine ungewisse Zukunft. Und der Fluch trifft ja bei Weitem auch nicht jeden. Wir können zwar auch nach so langer Zeit nichts genaues sagen, aber es gehen auch einige auf ganz natürliche Weise durch ihr Leben und sterben eines natürlichen Todes. Es scheint, nur wer den Antrieb verliert wird zur Statue. Sag mir Bildhauer, würdest du für eine unbestimmte, in deinen Augen nicht allzu große Gefahr, dein Leben in Bequemlichkeit und Fülle aufgeben und ins Ungewisse ziehen?”

Er betrachtete meine Reaktion und wartete lächelnd meine Antwort ab. Seine Worte eröffneten mir eine neue Sicht auf die Dinge. Nach allem was ich in der alten Stadt gesehen hatte und angesichts der vielen Statuen in den Steilwänden hatte ich unbewusst ‘den Antrieb verlieren' mit ‘Sterben’ gleichgesetzt. Ich hatte wohl einfach angenommen statt zu sterben würden die Leute hier zu Statuen. Vielleicht um auf eine zweite Chance im Leben zu warten oder so etwas. Zunächst aber breitete sich ein gewisses Maß an Beruhigung in mir aus. Die Wahrscheinlichkeit, selbst zu einem meiner Werke zu werden, war wohl sehr gering. “Nein, das würde ich wahrscheinlich auch nicht.” beantwortete ich mit einiger Verzögerung seine Frage. Er nickte mir wieder zu. “Ist auch schon jemand wieder zu einem Mensch geworden? Werden die Menschen langsam zu Stein oder” – ich schnippte mit den Fingern – “so?”

Mit der wohlwollenden Gelassenheit eines Lehrmeisters, oder zumindest eines Lehrmeisters wie ihn sich die meisten Bildhauer in Ausbildung wünschen würden, hob er besänftigend die Hände um mich in meinem Schwall an Fragen zu bremsen. “Uns ist niemand bekannt, der wieder zu Fleisch und Blut geworden ist. Wir können es aber auch nicht ausschließen. Immer wieder, so vermuten wir, verschwindet zumindest die ein oder andere Statue aus den Steilwänden. Was genau damit passiert” – er zuckte mit den Achseln. “Zu:” – er schnippte ebenfalls mit den Fingern – “Wir sind relativ sicher, dass es normalerweise sehr schnell passiert. Wir haben aber auch einen anderen Fall.” Er blickte über den runden Platz an dessen Rand wir nach wie vor standen. “Sie scheint heute nicht hier zu sein.” stellte er ohne weitere Erklärung fest. “Am besten du schaust morgen noch einmal hier vorbei. Sie ist sonst eigentlich jeden Tag hier. Manchmal unternimmt sie aber den ein oder anderen Ausflug.” Er schmunzelte in sich hinein: “Lass dich am besten einfach überraschen.”

Beruhigt, vor Neugierde fast platzend, und unzufrieden, dass es mir nicht gelungen war Yacha, wie der Gelehrte sich vorgestellt hatte, noch mehr Informationen zu ‘ihr’ abzuringen, verließ ich etwas später den Platz. Yacha hatte mir noch eine Schriftrolle gegeben, die wohl ein Forscher meines Heimatkontinents vor vielen Jahren hier verfasst hatte. Die Geschichtspfleger schienen eine Gruppe zu sein, die still und heimlich, der Annahme nach nachts, ihr Werk verrichteten und die Statuen schützten. Sie zeigten sich nie, bis auf eine verhüllte Gestalt, die den Zugang zu ihrem Hauptgebäude bewachte und versperrte. Allzu viel mehr Neues erfuhr ich leider nicht.

Von Yacha lernte ich außerdem, dass die Menschen hier Bildhauer und ihre Werke durchaus schätzen. Aber eher in abstrakter Form, oder der Form von dekorativen Tieren. Abbilder von Menschen in Stein waren verständlicherweise weniger beliebt. So folgte ich den Symbolen die zuerst grob ins Handwerkerviertel führten – ein Hammer und ein Messer gekreuzt – und dort angekommen orientierte ich mich an der unteren Hälfte der Holzpfosten. Hier wurden die Wege innerhalb eines Viertels detaillierter angezeigt.

Mit nur einem kleinen Umweg weil ich die Karte falsch interpretiert hatte, kam ich vor einem Gildenhaus der Bildhauer an. Die Tür stand offen und ich betrat das aufwendig verzierte Haus.