Statuen #6

Das Innere war, im Gegensatz zu den meisten Häusern hier, tagsüber gut ausgeleuchtet. Hinter einem einfachen Schreibtisch saß ein kräftig gebauter Mann mit einem kurzen schwarzen Vollbart und kritzelte Zahlen in ein Buch. Er schrieb zu Ende und blickte auf, als ich an den Tisch trat. Erneut mussten meine lückenhaften Sprachkenntnisse herhalten. “Chaye” ich deutete auf mich “Bildhauer – ich will Arbeit” Ich zog ein Gildenabzeichen und Siegel meiner Heimatstadt aus meinem Beutel und zeigte es dem Mann. Er griff danach und musterte es. Dann reichte er es mir zurück, und bedeutete mir zu warten. Eine Weile später kam er mit einem grauhaarigen Bildhauer zurück. “Komm Sobrit” er winkte mich heran.

Ich ging den beiden hinterher und wir gelangten in den Hof des Hauses. Hier waren unzählige Steinblöcke, hautsächlich feinporiges Vulkangestein, aus dem hier Vieles erbaut ist, aufgestapelt. Entlang der rückwärtigen Wand des großzügig bemessenen Hofes waren ein paar Steinblöcke bereits teilweise zu Skulpturen bearbeitet. Ich zählte drei Blöcke, an denen gleichzeitig gearbeitet wurde. Aktuell war nur einer der Arbeitsplätze besetzt. Scheinbar war die ganze Gilde gerade hier versammelt. Kazlane hatte recht gehabt, Bildhauer schienen hier rar zu sein. Der Alte begann mit rauer Stimme zu sprechen. “Sobrit – zeig was du kannst.” Ich deutete auf mich, schüttelte den Kopf und sagte “Chaye nicht Sobrit.” Beide Bildhauer begannen raspelnd und tief zu lachen. ‘Ob sie verwandt waren? ’ Der jüngere winkte ab “Sobrit – Freund” erklärte er. Der ältere nahm ein Papier zur Hand und wies auf ein Stück Vulkanstein, etwa so groß wie mein Kopf, das in einer komplexen Vorrichtung festgehalten wurde. Ich betrachtete das Papier genauer. Darauf war eine Sandechse, der hauptsächliche Fleischlieferant und beliebtes Transportmittel dieser kargen Wüstengegend, abgebildet. Ich verstand. Ich sollte mein Können an diesem kleinen Steinblock demonstrieren. Nun gut – so weit so üblich.

Ich blickte mich um, griff nach einem hellen Fettstift, der auf einem Tisch in der Nähe lag, und begann die Skizze der Echse auf den Stein zu übertragen. Ich orientierte mich dabei am Detailgrad, den die aufgestellten Steinblöcke auf den hinteren Arbeitsplätzen aufwiesen. Wie ich jetzt erkannt, sollten das ebenfalls Sandechsen werden – offensichtlich ein größerer Auftrag. Der dritte Bildhauer hatte seine Arbeit unterbrochen und war ebenfalls herangetreten, um meine Arbeitsprobe zu begutachten.

Nachdem ich mit der Vorzeichnung fertig war, nahm ich Hammer und Meißel zur Hand und begann sorgfältig, Schlag um Schlag das überflüssige Gestein abzutragen. Ich hatte bisher keine nennenswerten Erfahrungen mit Vulkanstein sammeln können, bemerkte aber bald, dass es ähnlich zu bearbeiten war, wie der Kalkstein, den ich nur zu gut aus meiner Heimat kannte. Schnell wurde ich besser im Umgang mit dem Stein und auch die drei Bildhauer die argwöhnisch meine Arbeit betrachteten schienen zufrieden. Der älteste, der hier wohl auch das Sagen hatte, unterbrach mich nach einer Weile. “Gut” sprach er, spuckte sich in die Hand und klopfte mir mit der Faust gegen die Brust. Erwartungsvoll sah er mich an und ich tat es ihm gleich. Eine sehr gebrochene Unterhaltung und viel Gestik später hatten wir uns auf eine Art Vertrag geeinigt. Sechs Stunden würde ich täglich bei ihm arbeiten, bis der aktuelle Auftrag abgeschlossen war. Ein für die kleine Gilde großer und wichtiger Auftrag, wie mir sehr deutlich gemacht wurde. Nicht weniger als einhundertfünfzig Echsen waren von einem der reichsten Händler der Stadt für einen extravaganten Balkon, als Stützen für das Geländer in Auftrag gegeben worden.

So zumindest war der Inhalt des Schreibens, das mir Koochni der Gildenchef mitgegeben hatte. Mir war, nachdem das Gespräch aufgrund meiner mangelnden Sprachkenntnisse sehr ins Stocken geraten war, die rettende Idee gekommen. Ich bat ihn das Wichtigste aufzuschreiben. So konnte ich es mir am Abend von Kazlane übersetzen lassen. “Du hast also Arbeit gefunden.” schloss sie die Übersetzung ab. “Herzlichen Glückwunsch.” “Danke. Darf ich trotzdem erstmal weiter in deiner Gästekammer wohnen? Also nur, wenn es dich nicht zu sehr stört.” “Solange du dich ein wenig an den Essensausgaben beteiligst, sollte das drin sein, denke ich.” Ich glaube sie war insgeheim froh über meine Frage, und die Tatsache, dass sie nicht direkt wieder allein war. Irgendwie war sie mir auf unserer gemeinsamen Reise sehr ans Herz gewachsen. Sie war zwar meist gesprächig und fröhlich, hatte aber auch etwas sehr traurig Melancholisches in ihrem Blick, wenn Sie sich unbeobachtet fühlte. “Vielen Dank! Ich weiß das sehr zu schätzen.” Über meine Erkenntnisse vom Platz der Gelehrten schwieg ich größtenteils. Mir war klar, dass sie aus einem bestimmten, mir unbekannten Grund, nicht gerne über die Statuen sprach. So berichtete ich ihr lieber von meiner Faszination für die Maschinen, die die Menschen hier entwickelt hatten. Die Gilde hatte beispielsweise ein ausgeklügeltes Kransystem, mit dem sich die schweren Steinblöcke mühelos über den Hof bewegen ließen. “Es wirkt wie Magie. Einfach ein paar Hebel ziehen und du kannst den Block mühelos in alle Richtungen bewegen. Und so präzise wie von Hand.” “Die ganze Stadt ist von einem Rohrnetzwerk durchzogen.” Sie schritt zu einer der Lampen und drehte sie auf. Sofort begann eine kleine Flamme, von einem ausgeklügelten Spiegelsystem verstärkt zu leuchten. “Sie leiten Gas in quasi jedes Haus. Zusätzlich wird Druck, der im Vulkan erzeugt wird, genutzt im Heber zu bedienen.” Sie zog an einem Hebel neben der Kochstelle. Aus dem Boden kam ein Regal gefahren. Darin hatte Kazlane Fleisch, etwas karges Gemüse und ein paar Steinflaschen gelagert. Sie nahm eine Flasche heraus. “Das ist ein Kälteschrank. Der Raum unten in dem er sich befindet wird ähnlich gekühlt wie die Räume oben. Nur etwas stärker und natürlich auf kleinerem Raum. Dadurch wird auch der Ziegenschnaps trinkbar.” Sie befüllte zwei keine Gläschen. Den Rest des Abends verbrachten wir damit, dass ich Kazlane mit großer Wissbegierde mit meinen Fragen über die Funktionsweisen der einzelnen Hebel und Leitungen auf die Nerven ging.

Früh am nächsten Morgen brach ich auf zu meinem neuen Arbeitsplatz. Kazlane hatte mir die typische haltbare Mahlzeit der Gegend, in Teig eingebackenes Echsendörrfleisch als Stärkung mitgegeben. Ich wollte möglichst früh mit der Arbeit fertig sein, um die mysteriöse Frau, die der Gelehrte erwähnt hatte, nicht zu verpassen.

 

“Du bist früh Sobrit” wurde ich vom Chef begrüßt. “Gut” “Hallo Koochni”.

Ich machte mich an die Arbeit und hatte bald die Freude für meinen Beruf erneut entdeckt. Ich kam beim Arbeiten oft in einen Zustand, in dem ich die Zeit nicht bemerke. Meißel ansetzen, Hammer heben, Schlagen, kontrollieren, von vorne. Die Arbeitszeit ging schnell vorüber und zufrieden, und erschöpft, wusch ich mich am Brunnenbecken, das auf dem Hof links neben dem Eingang zum Haus stand. Ich verabschiedete mich und brach auf Richtung Platz der Gelehrten.