Statuen #7

Der Platz war heute etwas belebter. Eine besonders große Gruppe war anscheinend gerade in hitziger Diskussion verwickelt.

„Hallo Yacha“ begrüßte ich den Gelehrten, mit dem ich gestern gesprochen hatte in seiner Sprache. „Chaye! Konntest du deine Wissbegier nicht länger im Zaum halten?“ Yacha trug wieder das wohlwollende Lächeln von gestern im Gesicht. „Du hast Glück“, er deutete auf die große Gruppe, die mir schon bei meiner Ankunft aufgefallen ist, „heute ist sie wieder hier. Siehst du die Dame in ihrer Mitte? Mit den dunkelbraunen Locken? Betrachte sie etwas genauer.“

Auf den ersten Blick konnte ich nichts Ungewöhnliches entdecken. Sie saß von vielen verschiedenen Menschen umringt auf dem Platz. Ihr Gesicht kam mir irgendwie vertraut vor, aber ich konnte nicht genau sagen, woher. Sie trug die gleiche Gelehrtenrobe wie Yacha und einige andere hier. Ihre war nur von etwas kräftigerer Farbe – nicht ganz so ausgewaschenes blau, sondern strahlender, vermutlich einfach etwas neuer. Dann bewegte sich eine der Umstehenden etwas nach links.

„Bei Pandais Meißel!“ entfuhr es mir. „Was ist denn mit ihren Beinen?“ Yacha lächelte traurig. „Nun, wie du siehst geht die Verwandlung nicht immer“ – er schnippte mit den Fingern. „Sie ist so ziemlich die einzige Person, die nicht vollständig zur Statue wurde. Anscheinend hat sie in irgendeiner Weise ihren Antrieb wiedergefunden, bevor es vollständig zu spät war. Seitdem ist sie so gut wie jeden Tag hier und hat es sich zum Ziel gesetzt, jede Schriftrolle, die es hier gibt zu lesen. Sie lernte inzwischen sogar deine Sprache. Und sie ist gerne bereit, alle Fragen zu beantworten, stellt sich sozusagen als Forschungsobjekt zur Verfügung. Wenn du etwas wartest bis die meisten wieder weg sind, kannst du sicher mit ihr reden.“

So beschäftigte ich mich eine Zeit selbst, las, mit Yachas Hilfe ausgewählte Schriftrollen zur Bildhauerei und etwas mehr zu den Statuen. „Wirklich erstaunlich, wie wenig über den ‚Fluch‘ so bekannt ist.“ „Wir haben erst vor wenigen Jahrzehnten angefangen uns wissenschaftlich damit zu beschäftigen. Lange galt es als Strafe der Götter oder Fluch von Dämonen, es war regelrecht ein Tabu darüber nachzudenken. Mehr oder weniger ist der ganz alte Teil der Stadt, den du durchqueren musst, um hier her zu gelangen, das Ergebnis dieses Glaubens. Die Menschen wurden zu Stein, und ihre Mitmenschen ließen sie als Mahnmal, ja fleißig und gehörig zu sein, stehen. Die Statuen waren damals einfach Teil des Lebens der Menschen. Niemand hinterfragte es. Es wurde der Willkür höherer Gewalt zugeschrieben. Nun, höhere Gewalt kann durchaus im Spiel sein. Viele Ärzte, auch außerhalb der Stadt haben versucht eine Erklärung zu finden. Sie alle sind sich einig, dass selbst mit den aberwitzigsten Tränken der Sumpfhexer sowas nicht möglich ist. Sicherlich erstarren lassen, das ist eine Sache – Fleisch wirklich vollständig und unbemerkt in Stein zu verwandeln eine völlig andere.“

Inzwischen war die große Gruppe langsam kleiner geworden und die Frau mit den versteinerten Beinen schien ihr letzten Gespräche zu beenden. Yacha war aufgestanden und ich machte mich daran ihm zu folgen, als ich sah wie eine andere Frau dazu kam, ausholte, und der sitzenden Frau eine schallende Ohrfeige verpasste. Sie wich dem Gegenschlag aus, drehte sich auf dem Absatz herum und verließ den Platz. Entgeistert blickte ich zu Yacha, der mich wissend ansah. „Was genau war das denn? Warum hält niemand die Frau auf?“ „Auf diese Weise bleibt ihr immer noch Rache als letzter Antrieb.“ Lautete seine knappe Erklärung.

Leicht erschüttert von der Szene, die sich gerade vor mir abgespielt hatte, trat ich mit Yacha vor. „Ysma, das hier ist Chaye aus Foeltahl.“ Stellte er mich in seiner Muttersprache vor. Dann fuhr er in meiner Sprache fort: „Er ist erst seit kurzem hier und interessiert an unserer Geschichte.“ Mit großen dunklen Augen in denen eine fast kindliche Neugier blitzte, betrachteten mich. „setz dich.“ Ich ließ mich neben ihr auf einem Kissen nieder. „es ist schön deine Sprache einzusetzen. Hier sprechen sie nicht so viele, da komme ich nicht zum Üben.“ Ich betrachtete die junge Frau ebenso neugierig. Dabei zwang ich mich, nicht auf ihr Beine zu schauen. Wieder überkam mich ein Gefühl leichter Vertrautheit in ihren Gesichtszügen, aber ich konnte es nicht zuordnen.

„Was bringt dich in diese Stadt?“ „Ich bin Bildhauer. Ich bin in Foeltahl losgereist weil ich das Gefühl hatte die Inspiration verloren zu haben. Unterwegs habe ich jedes bedeutende Kunstwerk gesehen, das auf meinem Kontinent zu finden war. Und dann zu diesem aufgebrochen. Mir wurde Unglaubliches in dieser Stadt versprochen, und“ ich konnte den Impuls auf ihre Beine zu blicken nicht länger unterdrücken „…und du hast Unglaubliches zu sehen bekommen.“ Beendete Ysma meinen Satz. „Verzeihung, ich wollte nicht…“ sie winkte ab. „Keine Sorge, ich bin mir sicher das ist der Grund für unser Gespräch. Außerdem habe ich nichts dagegen, ich beantworte gerne Fragen. Jede Idee mehr, jeder neue Blickwinkel hilft mir vielleicht das hier loszuwerden“ – sie klopfte mit dem Knöchel auf ihre Unterschenkel. Es klang wirklich wie Marmor. „Darf ich mir deine Beine genauer ansehen?“ fragte ich zögerlich. „nur zu“ traurig lächelnd deutete sie auf ihre Füße. Fast die gesamten Unterschenkel und die Füße waren versteinert. Nur knapp unterhalb der Knie, bis hierhin reichten die Hosenbeine der weiten Bundhose, war wieder ihre bronzefarbene Haut zu sehen. Ich streckte zögernd die Hand aus und berührte ihren Fuß. Es sah nicht nur aus wie Marmor es fühlte sich auch genauso an. Ich kramte kurz in meinem Beutel und holte eine kleine Lupe hervor. „Was ist das?“ „Eine Lupe, wir Bildhauer nutzen sie um manche Rohlinge auf Haarrisse und andere Makel zu untersuchen. Ein falsch gesetzter Schlag und der gesamte wertvolle Steinblock und bisherige Arbeit ist unbrauchbar.“ Interessiert beäugte sie mich dabei wie ich ihren Knöchel mit der Lupe untersuchte. Es war makelloser Stein. Keine Werkzeugspuren – nicht, dass ich welche erwartet hatte – und auch keine Probleme. Für einen Bildhauer wäre ein Rohling in dieser Qualität Gold wert. „Und?“ „Nun es ist allem Anschein nach feinster Marmor. Mehr kann ich leider auch nicht sagen. Wie ist das passiert?“ Ysma hatte die Frage ganz offensichtlich erwartet und antwortete routiniert: „Ich war bis es passiert ist Jägerin. Oft draußen und mit leichtem Schlaf, die Wüste ist gnadenlos. Eine nachts, als ich gerade wieder einmal zu Hause in der Stadt war, bin ich plötzlich aus dem Schlaf aufgeschreckt, ich denke, ich muss ein Geräusch gehört haben. Ich bin mir auch sicher, da war jemand. Gesehen habe ich nichts. In meinen Beinen fühlte ich auch nichts mehr. Seitdem…“ sie schüttelte kurz den Kopf. „seitdem schlafe ich auch nicht mehr alleine. Es ist immer jemand wach bei mir. Yacha hat das organisiert. Ich kann die Hilfe auch gut gebrauchen, es ist nicht gerade einfach mit Marmor statt Beinen.“ Jetzt bemerkte ich auch, dass im Schatten hinter ihr ein paar schlafende Gestalten lagen. Vermutlich ihr Hilfe und Nachtwache. Ysma blickte eine Weile vor sich hin. Dann kehrte das Blitzen in ihre Augen zurück. „ich habe mir gedacht, die Leute sagen, nur wer den Antrieb verliert wird zur Statue. So ganz kann ich das nicht glauben, aber zur Sicherheit werde ich jede einzelne Schriftrolle hier lesen!“ Ihr Blick wanderte zu Yacha. „Außerdem unterstützen mich die Gelehrten hier sehr.“ Ein sanftes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit.

Ich hatte das Gefühl, dass das Gespräch an dieser Stelle beendet war. Sicher war es trotz aller Willenskraft kein leichtes Los, als halbe Statue zu leben und den Kampf nicht aufzugeben.

Ich bedankte mich bei Ysma und verabschiedete mich und kehrte zu Kazlanes Haus zurück. Ich fand das Haus leer vor und so zog ich mich nach einem einfachen Mahl in meine Kammer zurück. Erschöpft von meiner Arbeit schlief ich ein, während ich in Gedanken die heute gelernten Informationen durch ging.